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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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daß die Welt seinen Abscheu theilt, oder mit so kleinen, daß er allein es sieht: denn nur ihn betrifft es unmittelbar. Das Vergangene wäre gleichgültig, als bloße Erscheinung, und könnte nicht das Gewissen beängstigen, fühlte sich nicht der Charakter frei von aller Zeit und durch sie unveränderlich, so lange er nicht sich selbst verneint. Darum lasten längst geschehene Dinge immer noch auf dem Gewissen. Die Bitte: »Führe mich nicht in Versuchung«, sagt: »Lass' es mich nicht sehn, wer ich bin.« – An der Gewalt, mit welcher der Böse das Leben bejaht, und die sich ihm darstellt an dem Leiden, welches er über Andere verhängt, ermißt er die Ferne, in welcher von ihm das Aufgeben und Verneinen eben jenes Willens, die einzig mögliche Erlösung von der Welt und ihrer Quaal liegt. Er sieht, wie weit er ihr angehört und wie fest er ihr verbunden ist: das erkannte Leiden Anderer hat ihn nicht bewegen können: dem Leben und dem empfundenen Leiden fällt er anheim. Es bleibt dahin gestellt, ob dieses je die Heftigkeit seines Willens brechen und überwinden wird.
    Diese Auseinandersetzung der Bedeutung und des Innern Wesens des Bösen , welche als bloßes Gefühl, d.h. nicht als deutliche, abstrakte Erkenntniß, der Inhalt der Gewissensangst ist, wird noch mehr Deutlichkeit und Vollständigkeit gewinnen durch die eben so durchgeführte Betrachtung des Guten , als Eigenschaft des menschlichen Willens, und zuletzt der gänzlichen Resignation und Heiligkeit, welche aus jener, nachdem solche den höchsten Grad erreicht hat, hervorgeht. Denn die Gegensätze erläutern sich immer wechselseitig, und der Tag offenbart zugleich sich selbst und die Nacht, wie Spinoza vortrefflich gesagt hat.

    § 66
    Eine Moral ohne Begründung, also bloßes Moralisiren, kann nicht wirken; weil sie nicht motivirt. Eine Moral aber, die motivirt, kann dies nur durch Einwirkung auf die Eigenliebe. Was nun aber aus dieser entspringt, hat keinen moralischen Werth. Hieraus folgt, daß durch Moral, und abstrakte Erkenntniß überhaupt, keine ächte Tugend bewirkt werden kann; sondern diese aus der intuitiven Erkenntniß entspringen muß, welche im fremden Individuo das selbe Wesen erkennt, wie im eigenen.
    Denn die Tugend geht zwar aus der Erkenntniß hervor; aber nicht aus der abstrakten, durch Worte mittheilbaren. Wäre dieses, so ließe sie sich lehren, und indem wir hier ihr Wesen und die ihr zum Grunde liegende Erkenntniß abstrakt aussprechen, hätten wir Jeden, der dies faßt, auch ethisch gebessert. So ist es aber keineswegs. Vielmehr kann man so wenig durch ethische Vorträge oder Predigten einen Tugendhaften zu Stande bringen, als alle Aesthetiken, von der des Aristoteles an, je einen Dichter gemacht haben. Denn für das eigentliche und innere Wesen der Tugend ist der Begriff unfruchtbar, wie er es für die Kunst ist, und kann nur völlig untergeordnet als Werkzeug Dienste bei der Ausführung und Aufbewahrung des anderweitig Erkannten und Beschlossenen leisten. Velle non discitur. Auf die Tugend, d.h. auf die Güte der Gesinnung, sind die abstrakten Dogmen in der That ohne Einfluß: die falschen stören sie nicht, und die wahren befördern sie schwerlich. Es wäre auch wahrlich sehr schlimm, wenn die Hauptsache des menschlichen Lebens, sein ethischer, für die Ewigkeit geltender Werth, von etwas abhienge, dessen Erlangung so sehr dem Zufall unterworfen ist, wie Dogmen, Glaubenslehren, Philosopheme. Die Dogmen haben für die Moralität bloß den Werth, daß der aus anderweitiger, bald zu erörternder Erkenntniß schon Tugendhafte an ihnen ein Schema, ein Formular hat, nach welchem er seiner eigenen Vernunft von seinem nichtegoistischen Thun, dessen Wesen sie, d.i. er selbst, nicht begreift , eine meistens nur fingirte Rechenschaft ablegt, bei welcher er sie gewöhnt hat sich zufrieden zu geben.
    Zwar auf das Handeln , das äußere Thun, können die Dogmen starken Einfluß haben, wie auch Gewohnheit und Beispiel (letztere, weil der gewöhnliche Mensch seinem Urtheil, dessen Schwäche er sich bewußt ist, nicht traut, sondern nur eigener oder fremder Erfahrung folgt); aber damit ist die Gesinnung nicht geändert. 92 Alle abstrakte Erkenntniß giebt nur Motive: Motive aber können, wie oben gezeigt, nur die Richtung des Willens, nie ihn selbst ändern. Alle mittheilbare Erkenntniß kann auf den Willen aber nur als Motiv wirken: wie die Dogmen ihn also auch lenken, so ist dabei dennoch immer Das, was der Mensch eigentlich und überhaupt

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