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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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unserer Erklärung gemäß, nie in der Bejahung seines eigenen Willens bis zur Verneinung des in einem andern Individuo sich darstellenden geht, – gerecht ist. Er wird also nicht, um sein eigenes Wohlseyn zu vermehren, Leiden über Andere verhängen: d.h. er wird kein Verbrechen begehn, wird die Rechte, wird das Eigenthum eines Jeden respectiren. – Wir sehn nun, daß einem solchen Gerechten, schon nicht mehr, wie dem Bösen, das principium individuationis eine absolute Scheidewand ist, daß er nicht, wie jener, nur seine eigene Willenserscheinung bejaht und alle andern verneint, daß ihm Andere nicht bloße Larven sind, deren Wesen von dem seinigen ganz verschieden ist; sondern durch seine Handlungsweise zeigt er an, daß er sein eigenes Wesen, nämlich den Willen zum Leben als Ding an sich, auch in der fremden, ihm bloß als Vorstellung gegebenen Erscheinung wiedererkennt , also sich selbst in jener wiederfindet, bis auf einen gewissen Grad, nämlich den des Nicht-Unrechtthuns, d.h. des Nichtverletzens. In eben diesem Grade nun durchschaut er das principium individuationis , den Schleier der Maja: er setzt insofern das Wesen außer sich dem eigenen gleich: er verletzt es nicht.
    In dieser Gerechtigkeit liegt, wenn man auf das Innerste derselben sieht, schon der Vorsatz, in der Bejahung des eigenen Willens nicht so weit zu gehn, daß sie die fremden Willenserscheinungen verneint, indem sie solche jenem zu dienen zwingt. Man wird daher eben so viel Andern leisten wollen, als man von ihnen genießt. Der höchste Grad dieser Gerechtigkeit der Gesinnung, welcher aber immer schon mit der eigentlichen Güte, deren Charakter nicht mehr bloß negativ ist, gepaart ist, geht so weit, daß man seine Rechte auf ererbtes Eigenthum in Zweifel zieht, den Leib nur durch die eigenen Kräfte, geistige oder körperliche, erhalten will, jede fremde Dienstleistung, jeden Luxus als einen Vorwurf empfindet und zuletzt zur freiwilligen Armuth greift. So sehn wir den Pascal , als er die asketische Richtung nahm, keine Bedienung mehr leiden wollen, obgleich er Dienerschaft genug hatte: seiner beständigen Kränklichkeit ungeachtet, machte er sein Bett selbst, holte selbst sein Essen aus der Küche u.s.w. ( Vie de Pascal par sa sœr , S. 19.) Diesem ganz entsprechend wird berichtet, daß manche Hindu, sogar Radschahs, bei vielem Reichthum, diesen nur zum Unterhalt der Ihrigen, ihres Hofes und ihrer Dienerschaft verwenden und mit strenger Skrupulosität die Maxime befolgen, nichts zu essen, als was sie selbst eigenhändig gesäet und geerndtet haben. Ein gewisses Mißverständniß liegt dabei doch zum Grunde: denn der Einzelne kann, gerade weil er reich und mächtig ist, dem Ganzen der menschlichen Gesellschaft so beträchtliche Dienste leisten, daß sie dem ererbten Reichthum gleichwiegen, dessen Sicherung er der Gesellschaft verdankt. Eigentlich ist jene übermäßige Gerechtigkeit solcher Hindu schon mehr als Gerechtigkeit, nämlich wirkliche Entsagung, Verneinung des Willens zum Leben, Askese; von der wir zuletzt reden werden. Hingegen kann umgekehrt reines Nichtsthun und Leben durch die Kräfte Anderer, bei ererbtem Eigenthum, ohne irgend etwas zu leisten, doch schon als moralisch unrecht angesehn werden, wenn es auch nach positiven Gesetzen recht bleiben muß.
    Wir haben gefunden, daß die freiwillige Gerechtigkeit ihren Innersten Ursprung hat in einem gewissen Grad der Durchschauung des principii individuationis , während in diesem der Ungerechte ganz und gar befangen bleibt. Diese Durchschauung kann nicht nur in dem hiezu erforderlichen, sondern auch in höherm Grade Statt haben, welcher zum positiven Wohlwollen und Wohlthun, zur Menschenliebe treibt: und dies kann geschehn, wie stark und energisch an sich selbst auch der in solchem Individuo erscheinende Wille sei. Immer kann die Erkenntniß ihm das Gleichgewicht halten, der Versuchung zum Unrecht widerstehn lehren und selbst jeden Grad von Güte, ja von Resignation hervorbringen. Also ist keineswegs der gute Mensch für eine ursprünglich schwächere Willenserscheinung als der böse zu halten; sondern es ist die Erkenntniß, welche in ihm den blinden Willensdrang bemeistert. Es giebt zwar Individuen, welche bloß scheinen gutmüthig zu seyn, wegen der Schwäche des in ihnen erscheinenden Willens: was sie sind, zeigt sich aber bald daran, daß sie keiner beträchtlichen Selbstüberwindung fähig sind, um eine gerechte oder gute That auszuführen.
    Wenn uns nun aber, als eine

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