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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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desto heller scheine und sicherer bestehe. Man hat daher nicht zu erwarten, daß meine gewiß innig gefühlte Ehrerbietung gegen Kant sich auch auf seine Schwächen und Fehler erstrecke, und daß ich daher diese nicht anders, als mit der behutsamsten Schonung aufdecken sollte, wobei mein Vortrag durch die Umschweife schwach und matt werden müßte. Gegen einen Lebenden bedarf es solcher Schonung, weil die menschliche Schwäche auch die gerechteste Widerlegung eines Irrthums nur unter Besänftigungen und Schmeicheleien und selbst so schwer erträgt, und ein Lehrer der Jahrhunderte und Wohlthäter der Menschheit doch zum wenigsten verdient, daß man auch seine menschliche Schwäche schone, um ihm keinen Schmerz zu verursachen. Der Todte aber hat diese Schwäche abgeworfen: sein Verdienst steht fest: von jeder Ueberschätzung und Herabwürdigung wird die Zeit es mehr und mehr reinigen. Seine Fehler müssen davon gesondert, unschädlich gemacht und dann der Vergessenheit hingegeben werden. Daher habe ich bei der hier anzustimmenden Polemik gegen Kant ganz allein seine Fehler und Schwächen im Auge, stehe ihnen feindlich gegenüber und führe einen schonungslosen Vertilgungskrieg gegen sie, stets darauf bedacht, nicht sie schonend zu bedecken, sondern sie vielmehr in das hellste Licht zu stellen, um sie desto sicherer zu vernichten. Ich bin mir, aus den oben angeführten Gründen, hiebei weder einer Ungerechtigkeit, noch einer Undankbarkeit gegen Kant bewußt. Um indessen auch in den Augen Anderer jeden Schein von Malignität abzuwenden, will ich meine tiefgefühlte Ehrfurcht und Dankbarkeit gegen Kant zuvor noch dadurch an den Tag legen, daß ich sein Hauptverdienst, wie es in meinen Augen erscheint, kurz ausspreche, und zwar von so allgemeinen Gesichtspunkten aus, daß Ich nicht genöthigt werde, die Punkte mitzuberühren, in welchen ich ihm nachher zu widersprechen habe.

    Kants größtes Verdienst ist die Unterscheidung der Erscheinung vom Dinge an sich , – auf Grund der Nachweisung, daß zwischen den Dingen und uns immer noch der Intellekt steht, weshalb sie nicht nach dem, was sie an sich selbst seyn mögen, erkannt werden können. Auf diesen Weg geführt wurde er durch Locke (siehe Prolegomena zu jeder Metaphysik, § 13, Anm. 2). Dieser hatte nachgewiesen, daß die sekundären Eigenschaften der Dinge, wie Klang, Geruch, Farbe, Härte, Weiche, Glätte u. dgl., als auf die Affektionen der Sinne gegründet, dem objektiven Körper, dem Dinge an sich selbst, nicht angehörten, welchem er vielmehr nur die primären Eigenschaften, d.h. solche, welche bloß den Raum und die Undurchdringlichkeit voraussetzen, also Ausdehnung, Gestalt, Solidität, Zahl, Beweglichkeit, beilegte. Allein diese leicht zu findende Locke'sche Unterscheidung, welche sich auf der Oberfläche der Dinge hält, war gleichsam nur ein jugendliches Vorspiel des Kantischen. Diese nämlich, von einem ungleich hohem Standpunkt ausgehend, erklärt alles Das, was Locke als qualitates primarias , d.h. Eigenschaften des Dinges an sich selbst, gelten gelassen hatte, für ebenfalls nur der Erscheinung desselben in unserm Auffassungsvermögen angehörig, und zwar gerade deshalb, weil Bedingungen desselben, Raum, Zeit und Kausalität, von uns a priori erkannt werden. Also hatte Locke vom Dinge an sich den Antheil, welchen die Sinnesorgane an der Erscheinung desselben haben, abgezogen; Kant aber zog nun noch den Antheil der Gehirnfunktionen (wiewohl nicht unter diesem Namen) ab; wodurch jetzt die Unterscheidung der Erscheinung vom Dinge an sich eine unendlich größere Bedeutung und einen sehr viel tiefem Sinn erhielt. Zu diesem Zwecke mußte er die große Sonderung unserer Erkenntniß a priori von der a posteriori vornehmen, welches vor ihm noch nie in gehöriger Strenge und Vollständigkeit, noch mit deutlichem Bewußtseyn geschehn war: demnach ward nun Dieses der Hauptstoff seiner tiefsinnigen Untersuchungen. – Hier nun wollen wir gleich bemerken, daß Kants Philosophie zu der seiner Vorgänger eine dreifache Beziehung hat: erstens, eine bestätigende und erweiternde zu der Locke's , wie wir soeben gesehn haben; zweitens, eine berichtigende und benutzende zu der Hume's , welche man am deutlichsten ausgesprochen findet in der Vorrede zu den »Prolegomena« (dieser schönsten und faßlichsten aller Kantischen Hauptschriften, welche viel zu wenig gelesen wird, da sie doch das Studium seiner Philosophie außerordentlich erleichtert); drittens, eine entschieden

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