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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Subjekt, wie durch das Objekt bedingt sei, und indem er die allgemeinsten Formen ihrer Erscheinung, d. i. der Vorstellung, isolirte, that er dar, daß man diese Formen nicht nur vom Objekt, sondern eben so wohl auch vom Subjekt ausgehend erkenne und ihrer ganzen Gesetzmäßigkeit nach übersehe, weil sie eigentlich zwischen Objekt und Subjekt die Beiden gemeinsame Gränze sind, und er schloß, daß man durch das Verfolgen dieser Gränze weder ins Innere des Objekts noch des Subjekts eindringe, folglich nie das Wesen der Welt, das Ding an sich erkenne.
    Er leitete das Ding an sich nicht auf die rechte Art ab, wie ich bald zeigen werde, sondern mittelst einer Inkonsequenz, die er durch häufige und unwiderstehliche Angriffe auf diesen Haupttheil seiner Lehre büßen mußte. Er erkannte nicht direkt im Willen das Ding an sich; allein er that einen großen, bahnbrechenden Schritt zu dieser Erkenntniß, indem er die unleugbare moralische Bedeutung des menschlichen Handelns als ganz verschieden und nicht abhängig von den Gesetzen der Erscheinung, noch diesen gemäß je erklärbar, sondern als etwas, welches das Ding an sich unmittelbar berühre, darstellte: dieses ist der zweite Hauptgesichtspunkt für sein Verdienst.
    Als den dritten können wir ansehn den völligen Umsturz der Scholastischen Philosophie, mit welchem Namen ich hier im Allgemeinen die ganze vom Kirchenvater Augustinus anfangende und dicht vor Kant schließende Periode bezeichnen möchte. Denn der Hauptcharakter der Scholastik ist doch wohl der von Tennemann sehr richtig angegebene, die Vormundschaft der herrschenden Landesreligion über die Philosophie, welcher eigentlich nichts übrig blieb, als die ihr von jener vorgeschriebenen Hauptdogmen zu beweisen und auszuschmücken: die eigentlichen Scholastiker, bis Suarez, gestehn dies unverhohlen: die folgenden Philosophen thun es mehr unbewußt, oder doch nicht eingeständlich. Man läßt die Scholastische Philosophie nur bis etwan hundert Jahre vor Cartesius gehn und dann mit diesem eine ganz neue Epoche des freien, von aller positiven Glaubenslehre unabhängigen Forschens anfangen; allein ein solches ist in der That dem Cartesius und seinen Nachfolgern 103 nicht beizulegen, sondern nur ein Schein davon und allenfalls ein Streben danach. Cartesius war ein höchst ausgezeichneter Geist, und hat, wenn man seine Zeit berücksichtigt, sehr viel geleistet. Setzt man aber diese Rücksicht bei Seite, und mißt ihn nach der ihm nachgerühmten Befreiung des Denkens von allen Fesseln und Anhebung einer neuen Periode des unbefangenen eigenen Forschens; so muß man finden, daß er mit seiner des rechten Ernstes noch entbehrenden und daher so schnell und so schlecht sich wieder gebenden Skepsis, zwar die Miene macht, als ob er alle Fesseln früh eingeimpfter, der Zelt und der Nation angehörender Meinungen, mit einem Male abwerfen wollte, es aber bloß zum Schein auf einen Augenblick thut, um sie sogleich wieder aufzunehmen und desto fester zu halten; und eben so alle seine Nachfolger bis auf Kant. Sehr anwendbar auf einen freien Selbstdenker dieses Schlages ist daher Goethes Vers:

    »Er scheint mir, mit Verlaub von Ewr Gnaden,
    Wie eine der langbeinigen Cikaden,
    Die immer fliegt und fliegend springt –
    Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt.« –

    Kant hatte Gründe, die Miene zu machen, als ob er es auch nur so meinte. Aber aus dem vorgeblichen Sprunge, der zugestanden war, weil man schon wußte, daß er ins Gras zurückführt, ward diesmal ein Flug, und jetzt haben, die unten stehn, nur das Nachsehn und können nicht mehr ihn wieder einfangen.
    Kant also wagte es, aus seiner Lehre die Unbeweisbarkeit aller jener vorgeblich so oft bewiesenen Dogmen darzuthun. Die spekulative Theologie und die mit ihr zusammenhängende rationale Psychologie empfiengen von ihm den Todesstreich. Seitdem sind sie aus der Deutschen Philosophie verschwunden, und man darf sich nicht dadurch irre machen lassen, daß hie und da das Wort beibehalten wird, nachdem man die Sache aufgegeben, oder daß irgend ein armsäliger Philosophieprofessor die Furcht seines Herrn vor Augen hat und Wahrheit Wahrheit seyn läßt. Die Größe dieses Verdienstes Kants kann nur Der ermessen, welcher den nachtheiligen Einfluß jener Begriffe auf Naturwissenschaft, wie auf Philosophie, in allen, selbst den besten Schriftstellern des 17. und 18. Jahrhunderts beachtet hat. In den Deutschen naturwissenschaftlichen Schriften ist die seit Kant eingetretene

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