Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
nur eine relative ist, d.h. erst anhebt, nachdem das Daseyn, die Erfahrungswelt überhaupt, schon gesetzt und vorhanden ist; daß folglich diese Gesetze nicht unser Leitfaden seyn können, wann wir an die Erklärung des Daseyns der Welt und unserer selbst gehn. Alle früheren occidentalischen Philosophen hatten gewähnt, diese Gesetze, nach welchen die Erscheinungen an einander geknüpft sind und welche alle, Zeit und Raum sowohl als Kausalität und Schlußfolge, ich unter den Ausdruck des Satzes vom Grunde zusammenfasse, wären absolute und durch gar nichts bedingte Gesetze, aeternae veritates , die Welt selbst wäre nur in Folge und Gemäßheit derselben, und daher müsse nach ihrem Leitfaden das ganze Räthsel der Welt sich lösen lassen. Die zu diesem Behuf gemachten Annahmen, welche Kant unter dem Namen der Ideen der Vernunft kritisirt, dienten eigentlich nur, die bloße Erscheinung, das Werk der Maja, die Schattenwelt des Plato, zur einzigen und höchsten Realität zu erheben, sie an die Stelle des Innersten und wahren Wesens der Dinge zu setzen, und die wirkliche Erkenntniß von diesem dadurch unmöglich zu machen: d.h., mit einem Wort, die Träumer noch fester einzuschläfern. Kam zeigte jene Gesetze, und folglich die Welt selbst, als durch die Erkenntnißweise des Subjekts bedingt; woraus folgte, daß, soweit man auch am Leitfaden jener weiter forschte und weiter schlösse, man in der Hauptsache, d.h. in der Erkenntniß des Wesens der Welt an sich und außer der Vorstellung, keinen Schritt vorwärts käme, sondern nur sich so bewegte, wie das Eichhörnchen im Rade. Man kann daher auch sämmtliche Dogmatiker mit Leuten vergleichen, welche meinten, daß wenn sie nur recht lange geradeaus giengen, sie zu der Welt Ende gelangen würden; Kant aber hätte dann die Welt umsegelt und gezeigt, daß, weil sie rund ist, man durch horizontale Bewegung nicht hinauskann, daß es jedoch durch perpendikulare vielleicht nicht unmöglich sei. Auch kann man sagen, Kants Lehre gebe die Einsicht, daß der Welt Ende und Anfang nicht außer, sondern in uns zu suchen sei.
Dies Alles nun aber beruht auf dem fundamentalen Unterschiede zwischen dogmatischer und kritischer, oder Transscendental - Philosophie. Wer sich diesen deutlich machen und an einem Beispiel vergegenwärtigen will, kann es in aller Kürze, wenn er, als Specimen der dogmatischen Philosophie, einen Aufsatz von Leibnitz durchliest, welcher den Titel »De rerum originatione radicali« führt und zum ersten Male gedruckt ist in der Ausgabe der philosophischen Werke Leibnitzens von Erdmann, Bd. 1, S. 147 – Hier wird nun so recht in realistisch-dogmatischer Weise, unter Benutzung des ontologischen und des kosmologischen Beweises, der Ursprung und die vortreffliche Beschaffenheit der Welt a priori dargethan, auf Grund der veritatum aeternarum. – Nebenher wird auch ein Mal eingestanden, daß die Erfahrung das gerade Gegentheil der hier demonstrirten Vortrefflichkeit der Welt aufweise, darauf aber der Erfahrung bedeutet, sie verstehe nichts davon und solle das Maul halten, wenn Philosophie a priori geredet hat. – Als Widersacher dieser ganzen Methode nun ist mit Kant die kritische Philosophie aufgetreten, welche gerade die, allem solchem dogmatischen Bau zur Unterlage dienenden veritates aeternas zu ihrem Problem macht, dem Ursprunge derselben nachforscht und ihn sodann findet im menschlichen Kopf, woselbst nämlich sie aus den diesem eigenthümlich angehörenden Formen, welche er zum Behuf der Auffassung einer objektiven Welt in sich trägt, erwachsen. Hier also, im Gehirn, ist der Steinbruch, welcher das Material zu jenem stolzen dogmatischen Baue liefert. Dadurch nun aber, daß die kritische Philosophie, um zu diesem Resultate zu gelangen, über die veritates aeternas , auf welche aller bisheriger Dogmatismus sich gründete, hinausgehn mußte, um diese selbst zum Gegenstande der Untersuchung zu machen, ist sie Transscendental -Philosophie geworden. Aus dieser ergiebt sich dann ferner, daß die objektive Welt, wie wir sie erkennen, nicht dem Wesen der Dinge an sich selbst angehört, sondern bloße Erscheinung desselben ist, bedingt durch eben jene Formen, die a priori im menschlichen Intellekt (d.h. Gehirn) liegen, daher sie auch nichts, als Erscheinungen enthalten kann.
Kant gelangte zwar nicht zu der Erkenntniß, daß die Erscheinung die Welt als Vorstellung und das Ding an sich der Wille sei. Aber er zeigte, daß die erscheinende Welt eben so sehr durch das
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