Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Hätte nur Kant diesen obersten Grundsatz seiner Methode deutlich ausgesprochen, und ihn dann konsequent befolgt, wenigstens hätte er dann das Intuitive vom Abstrakten rein sondern müssen, und wir hätten nicht mit unauflöslichen Widersprüchen und Konfusionen zu kämpfen. Aus der Art aber, wie er seine Aufgabe gelöst, sieht man, daß ihm jener Grundsatz seiner Methode nur sehr undeutlich vorgeschwebt hat, daher man, nach einem gründlichen Studium seiner Philosophie, denselben doch noch erst zu errathen hat.
Was nun die angegebene Methode und Grundmaxime selbst betrifft, so hat sie viel für sich und ist ein glänzender Gedanke. Schon das Wesen aller Wissenschaft besteht darin, daß wir das endlos Mannigfaltige der anschaulichen Erscheinungen unter komparativ wenige abstrakte Begriffe zusammenfassen, aus denen wir ein System ordnen, von welchem aus wir alle jene Erscheinungen völlig in der Gewalt unserer Erkenntniß haben, das Geschehene erklären und das Künftige bestimmen können. Die Wissenschaften theilen aber unter sich das weitläuftige Gebiet der Erscheinungen, nach den besondern, mannigfaltigen Arten dieser letztem. Nun war es ein kühner und glücklicher Gedanke, das den Begriffen als solchen und abgesehn von ihrem Inhalt durchaus Wesentliche zu isoliren, um aus den so gefundenen Formen alles Denkens zu ersehn, was auch allem intuitiven Erkennen, folglich der Welt als Erscheinung überhaupt, wesentlich sei: und weil nun dieses a priori , wegen der Nothwendigkeit jener Formen des Denkens, gefunden wäre; so wäre es subjektiven Ursprungs, und führte eben zu Kants Zwecken. – Nun hätte aber hiebei, ehe man weiter gieng, untersucht werden müssen, welches das Verhältniß der Reflexion zur anschaulichen Erkenntniß sei (was freilich die von Kant vernachlässigte reine Sonderung Beider voraussetzt), auf welche Weise eigentlich jene diese wiedergebe und vertrete, ob ganz rein, oder schon durch Aufnahme in ihre (der Reflexion) eigene Formen umgeändert und zum Theil unkenntlich gemacht; ob die Form der abstrakten, reflektiven Erkenntniß mehr bestimmt werde durch die Form der anschaulichen, oder durch die ihr selbst, der reflektiven, unabänderlich anhängende Beschaffenheit, so daß auch Das, was in der intuitiven Erkenntniß sehr heterogen ist, sobald es in die reflektive eingegangen, nicht mehr zu unterscheiden ist, und umgekehrt manche Unterschiede, die wir in der reflektiven Erkenntnißart wahrnehmen, auch aus dieser selber entsprungen sind und keineswegs auf ihnen entsprechende Verschiedenheiten in der intuitiven Erkenntniß deuten. Als Resultat dieser Forschung hätte sich aber ergeben, daß die anschauliche Erkenntniß bei ihrer Aufnahme in die Reflexion beinahe so viel Veränderung erleidet, wie die Nahrungsmittel bei ihrer Aufnahme in den thierischen Organismus, dessen Formen und Mischungen durch ihn selbst bestimmt werden und aus deren Zusammensetzung gar nicht mehr die Beschaffenheit der Nahrungsmittel zu erkennen ist; – oder (weil dieses ein wenig zu viel gesagt ist) wenigstens hätte sich ergeben, daß die Reflexion sich zur anschaulichen Erkenntniß keineswegs verhält, wie der Spiegel im Wasser zu den abgespiegelten Gegenständen, sondern kaum nur noch so, wie der Schatten dieser Gegenstände zu ihnen selbst, welcher Schatten nur einige äußere Umrisse wiedergiebt, aber auch das Mannigfaltigste in die selbe Gestalt vereinigt und das Verschiedenste durch den nämlichen Umriß darstellt; so daß keineswegs von ihm ausgehend sich die Gestalten der Dinge vollständig und sicher konstruiren ließen.
Die ganze reflektive Erkenntniß, oder die Vernunft, hat nur eine Hauptform, und diese ist der abstrakte Begriff: sie ist der Vernunft selbst eigen und hat unmittelbar keinen nothwendigen Zusammenhang mit der anschaulichen Welt, welche daher auch ganz ohne jene für die Thiere dasteht, und auch eine ganz andere seyn könnte, dennoch aber jene Form der Reflexion eben so wohl zu ihr passen würde. Die Vereinigung der Begriffe zu Urtheilen hat aber gewisse bestimmte und gesetzliche Formen, welche, durch Induktion gefunden, die Tafel der Urtheile ausmachen. Diese Formen sind größtentheils abzuleiten aus der reflektiven Erkenntnißart selbst, also unmittelbar aus der Vernunft, namentlich sofern sie durch die vier Denkgesetze (von mir metalogische Wahrheiten genannt) und durch das dictum de omni et nullo entstehn. Andere von diesen Formen haben aber ihren Grund in der anschauenden Erkenntnißart,
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