Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
nicht wiederholt zu werden braucht. Es ergiebt sich aber daraus, wie sehr verschieden die unmittelbaren Erkenntnisse seyn können, welche alle in abstracto sich durch die Verbindung der Sphären zweier Begriffe als Subjekt und Prädikat darstellen, und daß man keineswegs eine einzige Funktion des Verstandes, als ihr entsprechend und sie hervorbringend, aufstellen kann. Z.B. die Urtheile: »Das Wasser kocht; der Sinus mißt den Winkel; der Wille beschließt; Beschäftigung zerstreut; die Unterscheidung ist schwierig«; – drücken durch die selbe logische Form die verschiedenartigsten Verhältnisse aus: woraus wir abermals die Bestätigung erhalten, wie verkehrt das Beginnen sei, um die unmittelbare, intuitive Erkenntniß zu analysiren, sich auf den Standpunkt der abstrakten zu stellen. – Aus einer eigentlichen Verstandeserkenntniß, in meinem Sinn, entspringt übrigens das kategorische Unheil nur da, wo eine Kausalität durch dasselbe ausgedrückt wird; dies ist aber der Fall auch bei allen Urtheilen, die eine physische Qualität bezeichnen. Denn, wenn ich sage: »Dieser Körper ist schwer, hart, flüssig, grün, sauer, alkalisch, organisch u.s.w.«; so bezeichnet dies immer sein Wirken, also eine Erkenntniß, die nur durch den reinen Verstand möglich ist. Nachdem nun diese, eben wie viele von ihr ganz verschiedene (z.B. die Unterordnung höchst abstrakter Begriffe), in abstracto durch Subjekt und Prädikat ausgedrückt worden, hat man die bloßen Begriffsverhältnisse wieder auf die anschauliche Erkenntniß zurück übertragen, und gemeint, das Subjekt und Prädikat des Urtheils müsse in der Anschauung ein eigenes, besonderes Korrelat haben, Substanz und Accidenz. Aber ich werde weiter unten deutlich machen, daß der Begriff Substanz keinen andern wahren Inhalt hat, als den des Begriffs Materie. Accidenzien aber sind ganz gleichbedeutend mit Wirkungsarten, so daß die vermeinte Erkenntniß von Substanz und Accidenz noch immer die des reinen Verstandes von Ursache und Wirkung ist. Wie aber eigentlich die Vorstellung der Materie entsteht, ist theils in unserm ersten Buch, § 4, und noch faßlicher in der Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, am Schluß des § 21, S. 77, erörtert; theils werden wir es noch näher sehn, bei der Untersuchung des Grundsatzes, daß die Substanz beharrt.
c) Die disjunktiven Urtheile entspringen aus dem Denkgesetz des ausgeschlossenen Dritten, welches eine metalogische Wahrheit ist: sie sind daher ganz das Eigenthum der reinen Vernunft, und haben nicht im Verstande ihren Ursprung. Die Ableitung der Kategorie der Gemeinschaft oder Wechselwirkung aus ihnen ist nun aber ein recht grelles Beispiel von den Gewaltthätigkeiten, welche sich Kant bisweilen gegen die Wahrheit erlaubt, bloß um seine Lust an architektonischer Symmetrie zu befriedigen. Das Unstatthafte jener Ableitung ist schon öfter mit Recht gerügt und aus mehreren Gründen dargethan worden, besonders von G. E. Schulze in seiner »Kritik der theoretischen Philosophie« und von Berg in seiner »Epikritik der Philosophie«. – Welche wirkliche Analogie ist wohl zwischen der offengelassenen Bestimmung eines Begriffs durch einander ausschließende Prädikate, und dem Gedanken der Wechselwirkung? Beide sind sich sogar ganz entgegengesetzt, da im disjunktiven Unheil das wirkliche Setzen des einen der beiden Eintheilungsglieder zugleich ein nothwendiges Aufheben des andern ist; hingegen wenn man sich zwei Dinge im Verhältniß der Wechselwirkung denkt, das Setzen des einen eben ein nothwendiges Setzen auch des andern ist, und vice versa. Daher ist unstreitig das wirkliche logische Analogen der Wechselwirkung der circulus vitiosus , als in welchem, eben wie angeblich bei der Wechselwirkung, das Begründete auch wieder der Grund ist, und umgekehrt. Und eben so wie die Logik den circulus vitiosus verwirft, ist auch aus der Metaphysik der Begriff der Wechselwirkung zu verbannen. Denn ich bin ganz ernstlich gesonnen jetzt darzuthun, daß es gar keine Wechselwirkung im eigentlichen Sinne giebt, und dieser Begriff, so höchst beliebt auch, eben wegen der Unbestimmtheit des Gedankens, sein Gebrauch ist, doch, näher betrachtet, sich als leer, falsch und nichtig zeigt. Zuvörderst besinne man sich, was überhaupt Kausalität sei, und sehe zur Beihülfe meine Darstellung davon in der einleitenden Abhandlung, § 20, wie auch in meiner Preisschrift über die Freiheit des Willens, Kap. 3, S. 27 fg., endlich im vierten Kapitel unseres
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