Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Sandwüsten regnet es nicht, wohl aber auf den sie begrenzenden waldigen Bergen. Nicht die Anziehung der Berge auf die Wolken ist die Ursache; sondern die von der Sandebene aufsteigende Säule erhitzter Luft hindert die Dunstbläschen sich zu zersetzen und treibt die Wolken in die Höhe. Auf dem Gebirge ist der senkrecht steigende Luftstrohm schwächer, die Wolken senken sich und der Niederschlag erfolgt in der kühlem Luft. So stehn Mangel an Regen und Pflanzenlosigkeit der Wüste in Wechselwirkung: es regnet nicht, weil die erhitzte Sandfläche mehr Wärme ausstrahlt; die Wüste wird nicht zur Steppe oder Grasflur, weil es nicht regnet. Aber offenbar haben wir hier wieder nur, wie im obigen Beispiel, eine Succession gleichnamiger Ursachen und Wirkungen, und durchaus nichts von der einfachen Kausalität wesentlich Verschiedenes. Eben so verhält es sich mit dem Schwingen des Pendels, ja, auch mit der Selbsterhaltung des organischen Körpers, bei welcher ebenfalls jeder Zustand einen neuen herbeiführt, der mit dem, von welchem er selbst bewirkt wurde, der Art nach der selbe, individuell aber ein neuer ist: nur ist hier die Sache komplicirter, indem die Kette nicht mehr aus Gliedern von zwei, sondern aus Gliedern von vielen Arten besteht, so daß ein gleichnamiges Glied, erst nachdem mehrere andere dazwischengetreten, wiederkehrt. Aber immer sehn wir nur eine Anwendung des einzigen und einfachen Gesetzes der Kausalität vor uns, welches der Folge der Zustände die Regel giebt, nicht aber irgend etwas, das durch eine neue und besondere Funktion des Verstandes gefaßt werden müßte.
Oder wollte man etwan gar als Beleg des Begriffs der Wechselwirkung anführen, daß Wirkung und Gegenwirkung sich gleich sind? Dies liegt aber eben in Dem, was ich so sehr urgire und in der Abhandlung über den Satz vom Grunde ausführlich dargethan habe, daß die Ursache und die Wirkung nicht zwei Körper, sondern zwei sich succedirende Zustände von Körpern sind, folglich jeder der beiden Zustände auch alle betheiligten Körper implicirt, die Wirkung also, d. i. der neu eintretende Zustand, z.B. beim Stoß, sich auf beide Körper in gleichem Verhältniß erstreckt: so sehr daher der gestoßene Körper verändert wird, eben so sehr wird es der stoßende (jeder im Verhältniß seiner Masse und Geschwindigkeit). Beliebt es, dieses Wechselwirkung zu nennen; so ist eben durchaus jede Wirkung Wechselwirkung, und es tritt deswegen kein neuer Begriff und noch weniger eine neue Funktion des Verstandes dafür ein, sondern wir haben nur ein überflüssiges Synonym der Kausalität. Diese Ansicht aber spricht Kant unbedachtsamerweise geradezu aus, in den »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft«, wo der Beweis des vierten Lehrsatzes der Mechanik anhebt: »Alle äußere Wirkung in der Welt ist Wechselwirkung«. Wie sollen dann für einfache Kausalität und für Wechselwirkung verschiedene Funktionen a priori im Verstande liegen, ja, sogar die reale Succession der Dinge nur mittelst der erstem, und das Zugleichseyn derselben nur mittelst der letzteren möglich und erkennbar seyn? Danach wäre, wenn alle Wirkung Wechselwirkung ist, auch Succession und Simultaneität das Selbe, mithin Alles in der Welt zugleich. – Gäbe es wahre Wechselwirkung, dann wäre auch das perpetuum mobile möglich und sogar a priori gewiß: vielmehr aber liegt der Behauptung, daß es unmöglich sei, die Ueberzeugung a priori zum Grunde, daß es keine wahre Wechselwirkung und keine Verstandesform für eine solche giebt.
Auch Aristoteles leugnet die Wechselwirkung im eigentlichen Sinn: denn er bemerkt, daß zwar zwei Dinge wechselseitig Ursache von einander seyn können, aber nur so, daß man es von jedem in einem andern Sinne versteht, z.B. das eine auf das andere als Motiv, dieses auf jenes aber als Ursache seiner Bewegung wirkt. Nämlich wir finden an zwei Stellen die selben Worte: Physic., Lib. II, c. 3 , und Metaph., Lib. V, c. 2 . Esti de tina kai allêlôn aitia; hoion to ponein aition tês euexias, kai hautê tou ponein; all' ou ton auton tropon, alla to men hôs telos, to de hôs archê kinêseôs . (Sunt praeterea quae sibi sunt mutuo causae, ut exercitium bonae habitudinis, et haec exercitii: at non eodem modo, sed haec ut finis, illud ut principium motus.) Nähme er noch außerdem eine eigentliche Wechselwirkung an, so würde er sie hier aufführen, da er an beiden Stellen beschäftigt ist, sämmtliche mögliche Arten von Ursachen aufzuzählen. In
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