Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
Vom Netzwerk:
Thesis ein, nennt sie jedoch selbst (S. 562; v, 590) eine willkürliche Voraussetzung, deren Gegenstand an sich wohl unmöglich seyn möchte, und zeigt bloß ein ganz ohnmächtiges Bestreben, demselben vor der durchgreifenden Macht der Antithese irgendwo ein sicheres Plätzchen zu verschaffen, um nur die Nichtigkeit des ganzen ihm ein Mal beliebten Vorgebens der nothwendigen Antinomie in der menschlichen Vernunft nicht aufzudecken.

    Es folgt das Kapitel vom transscendentalen Ideale, welches uns mit einem Mal in die starre Scholastik des Mittelalters zurückversetzt. Man glaubt den Anselmus von Kanterbury selbst zu hören. Das ens realissimum , der Inbegriff aller Realitäten, der Inhalt aller bejahenden Sätze, tritt auf und zwar mit dem Anspruch ein nothwendiger Gedanke der Vernunft zu seyn! – Ich meinerseits muß gestehn, daß meiner Vernunft ein solcher Gedanke unmöglich ist, und daß ich bei den Worten, die ihn bezeichnen, nichts Bestimmtes zu denken vermag.
    Ich zweifle übrigens nicht, daß Kant zu diesem seltsamen und seiner unwürdigen Kapitel bloß durch seine Liebhaberei zur architektonischen Symmetrie genöthigt wurde. Die drei Hauptobjekte der Scholastischen Philosophie (welche man, wie gesagt, im weitern Sinn verstanden, bis auf Kant gehn lassen kann), die Seele, die Welt und Gott sollten aus den drei möglichen Obersätzen von Schlüssen abgeleitet werden; obwohl es offenbar ist, daß sie einzig und allein durch unbedingte Anwendung des Satzes vom Grunde entstanden sind und entstehn können. Nachdem nun die Seele in das kategorische Urtheil gezwängt worden, das hypothetische für die Welt verwendet war, blieb für die dritte Idee nichts übrig, als der disjunktive Obersatz. Glücklicherweise fand sich in diesem Sinn eine Vorarbeit, nämlich das ens realissimum der Scholastiker, nebst dem ontologischen Beweise des Daseyns Gottes, rudimentarisch von Anselm von Kanterbury aufgestellt und dann von Cartesius vervollkommnet. Dieses wurde von Kant mit Freuden benutzt, auch wohl mit einiger Reminiscenz einer frühem lateinischen Jugendarbeit. Indessen ist das Opfer, welches Kant seiner Liebe zur architektonischen Symmetrie durch dieses Kapitel bringt, überaus groß. Aller Wahrheit zum Trotz wird die, man muß sagen grotteske Vorstellung eines Inbegriffs aller möglichen Realitäten zu einem der Vernunft wesentlichen und nothwendigen Gedanken gemacht. Zur Ableitung desselben ergreift Kant das falsche Vorgeben, daß unsere Erkenntniß einzelner Dinge durch eine immer weiter gehende Einschränkung allgemeiner Begriffe, folglich auch eines allerallgemeinsten, der alle Realität in sich enthielte, entstehe. Hierin steht er eben so sehr mit seiner eigenen Lehre, wie mit der Wahrheit in Widerspruch; da gerade umgekehrt unsere Erkenntniß, vom Einzelnen ausgehend, zum Allgemeinen erweitert wird, und alle allgemeinen Begriffe durch Abstraktion von realen, einzelnen, anschaulich erkannten Dingen entstehn, welche bis zum allerallgemeinsten Begriff fortgesetzt werden kann, der dann Alles unter sich, aber fast nichts in sich begreift. Kant hat also hier das Verfahren unsers Erkenntnißvermögens gerade auf den Kopf gestellt und könnte deshalb wohl gar beschuldigt werden, Anlaß gegeben zu haben zu einer in unsern Tagen berühmt gewordenen philosophischen Charlatanerie, welche, statt die Begriffe für aus den Dingen abstrahirte Gedanken zu erkennen, umgekehrt die Begriffe zum Ersten macht und in den Dingen nur konkrete Begriffe sieht, auf diese Weise die verkehrte Welt, als eine philosophische Hanswurstiade, die natürlich großen Beifall finden mußte, zu Markte bringend. –
    Wenn wir auch annehmen, jede Vernunft müsse, oder wenigstens könne, auch ohne Offenbarung zum Begriff von Gott gelangen; so geschieht dies doch offenbar allein am Leitfaden der Kausalität: was so einleuchtend ist, daß es keines Beweises bedarf. Daher sagt auch Chr. Wolf (Cosmologia generalis, praef. p. 1): Sane in theologia naturali existentiam Numinis e principiis cosmologicis demonstramus. Contingentia universi et ordinis naturae, una cum impossibilitate casus, sunt scala, per quam a mundo hoc adspectabili ad Deum ascenditur. Und vor ihm sagte schon Leibnitz, in Beziehung auf das Kausalgesetz: Sans ce grand principe nous ne pourrions jamais prouver l'existence de Dieu (Théod., § 44). Und eben so in seiner Kontroverse mit Clarke, § 126: J'ose dire que sans ce grand principe on ne saurait venir à la preuve de l'existence de Dieu.

Weitere Kostenlose Bücher