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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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hingegen die populäre unangetastet und stellt sie sogar in veredelter Gestalt auf, als einen auf moralisches Gefühl gestützten Glauben, Diesen verdrehten späterhin die Philosophaster zu Vernunftvernehmungen, Gottesbewußtseynen, oder intellektuellen Anschauungen des Uebersinnlichen, der Gottheit u. dgl. m.; während vielmehr Kant, als er alte, ehrwürdige Irrthümer einriß und die Gefährlichkeit der Sache kannte, nur hatte, durch die Moraltheologie, einstweilen ein Paar schwache Stützen unterschieben wollen, damit der Einsturz nicht ihn träfe, sondern er Zeit gewönne, sich wegzubegeben.
    Was nun die Ausführung betrifft, so war zur Widerlegung des ontologischen Beweises des Daseyns Gottes gar noch keine Vernunftkritik von Nöthen, indem auch ohne Voraussetzung der Aesthetik und Analytik es sehr leicht ist deutlich zu machen, daß jener ontologische Beweis nichts ist, als ein spitzfündiges Spiel mit Begriffen, ohne alle Ueberzeugungskraft. Schon im Organon des Aristoteles steht ein Kapitel, welches zur Widerlegung des ontotheologischen Beweises so vollkommen hinreicht, als ob es absichtlich dazu geschrieben wäre: sie ist das siebente Kapitel des zweiten Buches der Analyt. post.: unter Anderm heißt es dort ausdrücklich: to de einai ouk ousia oudeni : d.h. existentia nunquam ad essentiam rei pertinet .
    Die Widerlegung des kosmologischen Beweises ist eine Anwendung der bis dahin vorgetragenen Lehre der Kritik auf einen gegebenen Fall, und nichts dagegen zu erinnern. – Der physikotheologische Beweis ist eine bloße Amplifikation des kosmologischen, den er voraussetzt, und findet auch seine ausführliche Widerlegung erst in der Kritik der Urtheilskraft. Meinen Leser verweise ich in dieser Hinsicht auf die Rubrik »Vergleichende Anatomie« in meiner Schrift über den Willen in der Natur.
    Kant hat es, wie gesagt, bei der Kritik dieser Beweise bloß mit der spekulativen Theologie zu thun und beschränkt sich auf die Schule. Hätte er hingegen auch das Leben und die populäre Theologie im Auge gehabt, so hätte er zu den drei Beweisen noch einen vierten fügen müssen, der bei dem großen Haufen der eigentlich wirksame ist und in Kants Kunstsprache wohl am passendsten der keraunologische zu benennen wäre: es ist der, welcher sich gründet auf das Gefühl der Hülfsbedürftigkeit, Ohnmacht und Abhängigkeit des Menschen, unendlich überlegenen, unergründlichen und meistens unheildrohenden Naturmächten gegenüber; wozu sich sein natürlicher Hang Alles zu personificiren gesellt und endlich noch die Hoffnung kommt, durch Bitten und Schmeicheln, auch wohl durch Geschenke, etwas auszurichten. Bei jeder menschlichen Unternehmung ist nämlich etwas, das nicht in unserer Macht steht und nicht in unsere Berechnung fällt: der Wunsch, dieses für sich zu gewinnen, ist der Ursprung der Götter. Primus in orbe Deos fecit timor ist ein altes Wahrwort des Petronius. Diesen Beweis hauptsächlich kritisirt Hume , der durchaus als Kants Vorläufer erscheint, in den oben erwähnten Schriften. – Wen nun aber Kant durch seine Kritik der spekulativen Theologie in dauernde Verlegenheit gesetzt hat, das sind die Philosophieprofessoren: von Christlichen Regierungen besoldet dürfen sie den Hauptglaubensartikel nicht im Stich lassen 109 . Wie helfen sich nun die Herren? – Sie behaupten eben, das Daseyn Gottes verstände sich von selbst. – So! nachdem die alte Welt, auf Kosten ihres Gewissens, Wunder gethan hat, es zu beweisen, und die neue Welt, auf Kosten ihres Verstandes, ontologische, kosmologische und physikotheologische Beweise ins Feld gestellt hat, – versteht es sich bei den Herren von selbst. Und aus diesem sich von selbst verstehenden Gott erklären sie sodann die Welt: das ist ihre Philosophie.
    Bis auf Kant stand ein wirkliches Dilemma fest zwischen Materialismus und Theismus, d.h. zwischen der Annahme, daß ein blinder Zufall, oder daß eine von außen ordnende Intelligenz nach Zwecken und Begriffen, die Welt zu Stande gebracht hätte, neque dabatur tertium . Daher war Atheismus und Materialismus das Selbe: daher der Zweifel, ob es wohl einen Atheisten geben könne, d.h. einen Menschen, der wirklich die so überschwänglich zweckmäßige Anordnung der Natur, zumal der organischen, dem blinden Zufall zutrauen könne: man sehe z.B. Bacon's essays (sermones fideles), essay 16, on Atheism. In der Meinung des großen Haufens und der Engländer, welche in solchen Dingen gänzlich zum großen Haufen (mob) gehören,

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