Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
steht es noch so, sogar bei ihren berühmtesten Gelehrten: man sehe nur des R. Owen Ostéologie comparée , von 1855, préface p. 11, 12 , wo er noch immer vor dem alten Dilemma steht zwischen Demokrit und Epikur einerseits und einer intelligence andererseits, in welcher la connaissance d'un être tel que l'homme a existé avant que l'homme fit son apparition . Von einer Intelligenz muß alle Zweckmäßigkeit ausgegangen seyn: daran zu zweifeln ist ihm noch nicht im Traume eingefallen. Hat er doch in der am 5. Sept. 1853 in der Académie des sciences gehaltenen Vorlesung dieser hier etwas modificirten préface , mit kindlicher Naivetät gesagt: La téléologie, ou in théologie scientiftque (Comptes rendus , Sept. 1853), das ist ihm unmittelbar Eins! Ist etwas in der Natur zweckmäßig; nun so ist es ein Werk der Absicht, der Ueberlegung, der Intelligenz. Nun freilich, was geht so einen Engländer und die Académie des sciences die Kritik der Urtheilskraft an, oder gar mein Buch über den Willen in der Natur? So tief sehn die Herren nicht herab. Diese illustres confrères verachten ja die Metaphysik und die philosophie allemande ; – sie halten sich an die Rockenphilosophie. Die Gültigkeit jenes disjunktiven Obersatzes, jenes Dilemmas zwischen Materialismus und Theismus, beruht aber auf der Annahme, daß die vorliegende Welt die der Dinge an sich sei, daß es folglich keine andere Ordnung der Dinge gebe, als die empirische. Nachdem aber, durch Kant, die Welt und ihre Ordnung zur bloßen Erscheinung geworden war, deren Gesetze hauptsächlich auf den Formen unsers Intellekts beruhen, brauchte das Daseyn und Wesen der Dinge und der Welt nicht mehr nach Analogie der von uns wahrgenommenen, oder bewirkten Veränderungen in der Welt erklärt zu werden, noch Das, was wir als Mittel und Zweck auffassen, auch in Folge einer solchen Erkenntniß entstanden zu seyn. Indem also Kant, durch seine wichtige Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich, dem Theismus sein Fundament entzog, eröffnete er andererseits den Weg zu ganz anderartigen und tiefsinnigeren Erklärungen des Daseyns.
Im Kapitel von den Endabsichten der natürlichen Dialektik der Vernunft wird vorgegeben, die drei transscendenten Ideen seien als regulative Principien für die Fortschreitung der Kenntniß der Natur von Werth. Aber schwerlich kann es Kanten mit dieser Behauptung Ernst gewesen seyn. Wenigstens wird ihr Gegentheil, daß nämlich jene Voraussetzungen für alle Naturforschung hemmend und ertödtend sind, jedem Naturkundigen außer Zweifel seyn. Um dies an einem Beispiel zu erproben, überlege man, ob die Annahme einer Seele, als immaterieller, einfacher, denkender Substanz, den Wahrheiten, welche Cabanis so schön dargelegt hat, oder den Entdeckungen Flourens', Marshall Halls , und Ch. Bells hätte förderlich, oder im höchsten Grade hinderlich seyn müssen. Ja, Kant selbst sagt (Prolegomena, § 44), »daß die Vernunftideen den Maximen der Vernunfterkenntniß der Natur entgegen und hinderlich sind.« –
Es ist gewiß keines der geringsten Verdienste Friedrichs des Großen, daß unter seiner Regierung Kant sich entwickeln konnte und die »Kritik der reinen Vernunft« veröffentlichen durfte. Schwerlich würde unter irgend einer andern Regierung ein besoldeter Professor so etwas gewagt haben. Schon dem Nachfolger des großen Königs mußte Kant versprechen, nicht mehr zu schreiben.
Der Kritik des ethischen Theils der Kantischen Philosophie könnte ich mich hier entübrigt erachten, sofern ich eine solche ausführlicher und gründlicher, 22 Jahre später, als die gegenwärtige, geliefert habe, in den »beiden Grundproblemen der Ethik«. Indessen kann das aus der ersten Auflage hier Beibehaltene, welches schon der Vollständigkeit wegen nicht wegfallen durfte, als zweckmäßige Prolusion zu jener spätem und viel gründlichem Kritik dienen, auf welche ich demnach, in der Hauptsache, den Leser verweise.
Gemäß der Liebe zur architektonischen Symmetrie mußte die theoretische Vernunft auch einen Pendant haben. Der intellectus practicus der Scholastik, welcher wieder abstammt vom nous praktikos des Aristoteles (De anima, III, 10 , und Polit., VII, c. 14 : ho men gar praktikos esti logos, ho de theôrêtikos ), giebt das Wort an die Hand. Jedoch wird hier etwas ganz Anderes damit bezeichnet, nicht wie dort die auf Technik gerichtete Vernunft; sondern hier tritt die praktische Vernunft auf als Quell und Ursprung der unleugbaren ethischen
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