Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Hingegen ist der in diesem Kapitel ausgeführte Gedanke soweit davon entfernt, ein der Vernunft wesentlicher und nothwendiger zu seyn, daß er vielmehr zu betrachten ist als ein rechtes Musterstück von den monströsen Erzeugnissen eines durch wunderliche Umstände auf die seltsamsten Abwege und Verkehrtheiten gerathenen Zeitalters, wie das der Scholastik war, das ohne Aehnliches in der Weltgeschichte dasteht, noch je wiederkehren kann. Diese Scholastik hat allerdings, als sie zu ihrer Vollendung gediehen war, den Hauptbeweis für das Daseyn Gottes aus dem Begriffe des ens realissimum geführt und die andern Beweise nur daneben gebraucht, accessorisch: dies ist aber bloße Lehrmethode und beweist nichts über den Ursprung der Theologie im menschlichen Geist. Kant hat hier das Verfahren der Scholastik für das der Vernunft genommen, welches ihm überhaupt öfter begegnet ist. Wenn es wahr wäre, daß, nach wesentlichen Gesetzen der Vernunft, die Idee von Gott aus dem disjunktiven Schlüsse hervorgienge, unter Gestalt einer Idee vom allerrealsten Wesen; so würde doch auch bei den Philosophen des Alterthums diese Idee sich eingefunden haben; aber vom ens realissimum ist nirgends eine Spur, bei keinem der alten Philosophen, obgleich einige derselben allerdings einen Weltschöpfer, aber nur als Formgeber der ohne ihn vorhandenen Materie, dêmiourgos , lehren, den sie jedoch einzig und allein nach dem Gesetz der Kausalität erschließen. Zwar führt Sextus Empirikus (adv. Math., IX, § 88) eine Argumentation des Kleanthes an, welche Einige für den ontologischen Beweis halten. Dies ist sie jedoch nicht, sondern ein bloßer Schluß aus der Analogie: weil nämlich die Erfahrung lehrt, daß auf Erden ein Wesen immer vorzüglicher, als das andere ist, und zwar der Mensch, als das vorzüglichste, die Reihe schließt, er jedoch noch viele Fehler hat; so muß es noch vorzüglichere und zuletzt ein allervorzüglichstes ( kratiston, ariston ) geben, und dieses wäre der Gott.
Ueber die nunmehr folgende ausführliche Widerlegung der spekulativen Theologie habe ich nur in der Kürze zu bemerken, daß sie, wie überhaupt die ganze Kritik der drei sogenannten Ideen der Vernunft, also die ganze Dialektik der reinen Vernunft, zwar gewissermaaßen das Ziel und der Zweck des ganzen Werkes ist, dennoch aber dieser polemische Theil nicht eigentlich, wie der vorhergehende doktrinale, d. i, die Aesthetik und Analytik, ein ganz allgemeines, bleibendes und rein philosophisches Interesse hat; sondern mehr ein temporelles und lokales, indem derselbe in besonderer Beziehung steht zu den Hauptmomenten der bis auf Kant in Europa herrschenden Philosophie, deren völliger Umsturz durch diese Polemik jedoch Kanten zum unsterblichen Verdienst gereicht. Er hat aus der Philosophie den Theismus eliminirt, da in ihr, als einer Wissenschaft, und nicht Glaubenslehre, nur Das eine Stelle finden kann, was entweder empirisch gegeben, oder durch haltbare Beweise festgestellt ist. Natürlich ist hier bloß die wirkliche, ernstlich verstandene, auf Wahrheit und nichts Anderes gerichtete Philosophie gemeint, und keineswegs die Spaaßphilosophie der Universitäten, als in welcher, nach wie vor, die spekulative Theologie die Hauptrolle spielt; wie denn auch daselbst die Seele, als eine bekannte Person, nach wie vor, ohne Umstände auftritt. Denn sie ist die mit Gehalten und Honoraren, ja gar noch mit Hofrathstiteln ausgestattete Philosophie, welche, von ihrer Höhe stolz herabsehend, Leutchen, wie ich bin, vierzig Jahre hindurch, gar nicht gewahr wird, und den alten Kant , mit seinen Kritiken, auch herzlich gern los wäre, um den Leibnitz aus voller Brust hoch leben zu lassen. – Ferner ist hier zu bemerken, daß, wie Kant zu seiner Lehre von der Apriorität des Kausalitätsbegriffes eingeständlich veranlaßt worden ist durch Hume's Skepsis in Hinsicht auf jenen Begriff, vielleicht eben so Kants Kritik aller spekulativen Theologie ihren Anlaß hat in Hume's Kritik aller populären Theologie, welche dieser dargelegt hatte in seiner so lesens-werthen » Natural history of religion« , und den »Dialogues on natural religion« , ja, daß Kant diese gewissermaaßen ergänzen gewollt. Denn die zuerst genannte Schrift Hume's ist eigentlich eine Kritik der populären Theologie, deren Erbärmlichkeit sie zeigen und dagegen auf die rationale oder spekulative Theologie, als die ächte, achtungsvoll hinweisen will. Kant aber deckt nun das Grundlose dieser letztem auf, läßt
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