Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Vermittelten, bloß mittelbare; daher dieses, weil aus zweiter Hand, als problematisch zu betrachten ist. Hierauf beruht der Werth des so berühmten Satzes. Als seinen Gegensatz können wir, im Sinne der Kantischen Philosophie, aufstellen: cogito, ergo est , – d.h. wie ich gewisse Verhältnisse (die mathematischen) an den Dingen denke, genau so müssen sie in aller irgend möglichen Erfahrung stets ausfallen, – dies war ein wichtiges, tiefes und spätes Apperçu , welches im Gewände des Problems von der Möglichkeit synthetischer Urtheile a priori auftrat und wirklich den Weg zu tiefer Erkenntniß eröffnet hat. Dies Problem ist die Parole der Kantischen Philosophie, wie der erstere Satz die der Cartesischen, und zeigt, ex hoiôn eis hoia .
Sehr passend stellt Kant seine Untersuchungen über Zeit und Raum an die Spitze aller andern. Denn dem spekulativen Geiste drängen sich vor allen diese Fragen auf: was ist die Zeit ? was ist dies Wesen, das aus lauter Bewegung besteht, ohne etwas, das sich bewegt? – und was der Raum ? dieses allgegenwärtige Nichts, aus welchem kein Ding herauskann, ohne aufzuhören Etwas zu seyn? –
Daß Zeit und Raum dem Subjekt anhängen, die Art und Weise sind, wie der Proceß objektiver Apperception im Gehirn vollzogen wird, hat schon einen genügenden Beweis an der gänzlichen Unmöglichkeit Zeit und Raum hinwegzudenken, während man Alles, was in ihnen sich darstellt, sehr leicht hinwegdenkt. Die Hand kann Alles fahren lassen; nur sich selbst nicht. Indessen will ich die von Kant gegebenen näheren Beweise jener Wahrheit hier durch einige Beispiele und Ausführungen erläutern, nicht zur Widerlegung alberner Einwendungen, sondern zum Gebrauch Derer, die künftig Kants Lehren vorzutragen haben werden.
»Ein rechtwinklichter gleichseitiger Triangel« enthält keinen logischen Widerspruch: denn die Prädikate heben einzeln keineswegs das Subjekt auf, noch sind sie mit einander unvereinbar. Erst bei der Konstruktion ihres Gegenstandes in der reinen Anschauung tritt ihre Unvereinbarkeit an ihm hervor. Wollte man diese eben deshalb für einen Widerspruch halten; so wäre auch jede physische und erst nach Jahrhunderten entdeckte Unmöglichkeit ein solcher: z.B. die Zusammensetzung eines Metalles aus seinen Bestandtheilen, oder ein Säugethier mit mehr oder weniger als sieben Halswirbeln 1 , oder Hörner und obere Schneidezähne am selben Thier. Allein bloß die logische Unmöglichkeit ist ein Widerspruch, nicht aber die physische, und eben so wenig die mathematische. Gleichseitig und rechtwinklicht widersprechen einander nicht (im Quadrat sind sie beisammen), noch widerspricht jedes von ihnen dem Dreieck. Daher kann die Unvereinbarkeit obiger Begriffe nie durch bloßes Denken erkannt werden, sondern ergiebt sich erst aus der Anschauung, welche nun aber eine solche ist, zu der es keiner Erfahrung, keines realen Gegenstandes bedarf, eine bloß mentale. Auch gehört hieher der Satz des Jordanus Brunus , der wohl auch beim Aristoteles zu finden seyn wird: »ein unendlich großer Körper ist nothwendig unbeweglich«, – als welcher weder auf Erfahrung, noch auf dem Satz des Widerspruchs beruhen kann; da er von Dingen redet, die in keiner Erfahrung vorkommen können, und die Begriffe »unendlich groß« und »beweglich« einander nicht widersprechen; sondern bloß die reine Anschauung ergiebt, daß die Bewegung einen Raum außerhalb des Körpers erfordert, seine unendliche Größe aber keinen übrig läßt. – Wollte man nun gegen das erstere mathematische Beispiel einwenden: es käme nur darauf an, wie vollständig der Begriff sei, den der Urtheilende vom Triangel habe; wenn es ein ganz vollständiger wäre, so enthielte er auch die Unmöglichkeit, daß ein Triangel rechtwinklicht und doch gleichseitig sei; so ist die Antwort: angenommen, sein Begriff vom Dreieck sei nicht so vollständig; so kann er, ohne Hinzuziehung der Erfahrung, durch die bloße Konstruktion desselben in seiner Phantasie ihn erweitern und sich von der Unmöglichkeit jener Begriffsverbindung für alle Ewigkeit überzeugen: eben dieser Proceß aber ist ein synthetisches Urtheil a priori , d.h. ein solches, durch welches wir, ohne alle Erfahrung und doch mit Gültigkeit für alle Erfahrung, unsere Begriffe bilden und vervollständigen. – Denn überhaupt, ob ein gegebenes Urtheil analytisch oder synthetisch sei, wird, im einzelnen Fall, erst bestimmt werden können, je nachdem im Kopfe des Urtheilenden der Begriff des
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