Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
entsteht durch den Widerstand, den die Kraftäußerung unserer Muskeln erleidet, oder ob sie durch Lichteindruck auf die Retina, oder Schalleindruck auf den Gehörnerven u.s.f. entsteht, ist im Wesentlichen einerlei: immer bleibt die Empfindung ein bloßes Datum für den Verstand , welcher allein fähig ist, sie als Wirkung einer von ihr verschiedenen Ursache aufzufassen, die er nunmehr als ein Aeußerliches anschaut, d.h. in die ebenfalls vor aller Erfahrung dem Intellekt einwohnende Form Raum versetzt, als ein diesen Einnehmendes und Ausfüllendes. Ohne diese intellektuelle Operation, zu welcher die Formen fertig in uns liegen müssen, könnte nimmermehr aus einer bloßen Empfindung innerhalb unserer Haut die Anschauung einer objektiven Außenwelt entstehn. Wie kann man sich nur denken, daß das bloße, bei einer gewollten Bewegung, Sich-gehindert-fühlen, welches übrigens auch bei Lähmungen Statt hat, dazu hinreichte? Hiezu kommt noch, daß, damit ich auf äußere Dinge zu wirken versuche, diese nothwendig vorher auf mich gewirkt haben müssen, als Motive: dieses aber setzt schon die Apprehension der Außenwelt voraus. Nach der in Rede stehenden Theorie müßte (wie ich am oben angeführten Ort bereits bemerkt habe) ein ohne Arme und Beine geborener Mensch gar nicht zur Vorstellung der Kausalität und folglich auch nicht zur Wahrnehmung der Außenwelt gelangen können. Daß nun aber dem nicht so ist, belegt eine in Frorieps Notizen , 1838, Juli, Nr. 133. mitgeiheilte Thatsache, nämlich der ausführliche und von einer Abbildung begleitete Bericht über eine Esthin, Eva Lauk , damals 14 Jahre alt, ganz ohne Arme und Beine geboren, welcher mit folgenden Worten schließt: »Nach den Aussagen der Mutter hat sie sich geistig eben so schnell entwickelt, wie ihre Geschwister: namentlich ist sie eben so bald zu einem richtigen Urtheil über Größe und Entfernung sichtbarer Gegenstände gelangt, ohne sich doch der Hände bedienen zu können. – Dorpat den 1. März 1838. Dr. A. Hueck .«
Auch Hume's Lehre, der Begriff der Kausalität entstehe bloß aus der Gewohnheit zwei Zustände konstant auf einander folgen zu sehn, findet eine faktische Widerlegung an der ältesten aller Successionen, nämlich der von Tag und Nacht, welche noch Niemand für Ursache und Wirkung von einander gehalten hat. Und eben diese Succession widerlegt auch Kants falsche Behauptung, daß die objektive Realität einer Succession allererst erkannt würde, indem man beide Succedentia in dem Verhältniß von Ursache und Wirkung zu einander auffaßte. Von dieser Lehre Kants ist sogar das Umgekehrte wahr: nämlich, welcher von zwei verknüpften Zuständen Ursache und welcher Wirkung sei, erkennen wir, empirisch , allein an ihrer Succession. Andererseits wieder ist die absurde Behauptung mancher Philosophie-Professoren unserer Tage, daß Ursache und Wirkung zugleich seien, daraus zu widerlegen, daß in Fällen, wo die Succession, wegen ihrer großen Schnelligkeit, gar nicht wahrgenommen werden kann, wir sie dennoch, und mit ihr das Verstreichen einer gewissen Zeit, a priori sicher voraussetzen: so z.B. wissen wir, daß zwischen dem Abdrücken der Flinte und dem Herausfahren der Kugel eine gewisse Zeit verstreichen muß, obwohl wir sie nicht wahrnehmen, und daß dieselbe wiederum vertheilt seyn muß unter mehrere in streng bestimmter Succession eintretende Zustände, nämlich das Abdrücken, das Funkenschlagen, das Zünden, das Fortpflanzen des Feuers, die Explosion und den Austritt der Kugel, Wahrgenommen hat diese Succession der Zustände noch kein Mensch; aber weil wir wissen, welcher den andern bewirkt , so wissen wir eben dadurch auch, welcher dem andern in der Zeit vorhergehn muß, folglich auch, daß während des Verlaufs der ganzen Reihe eine gewisse Zeit verstreicht, obwohl sie so kurz ist, daß sie unserer empirischen Wahrnehmung entgeht: denn Niemand wird behaupten, daß das Herausfliegen der Kugel mit dem Abdrücken wirklich gleichzeitig sei. Also ist uns nicht bloß das Gesetz der Kausalität, sondern auch dessen Beziehung auf die Zeit , und die Nothwendigkeit der Succession von Ursache und Wirkung a priori bekannt. Wenn wir wissen, welcher von zweien Zuständen Ursache und welcher Wirkung ist; so wissen wir auch, welcher dem andern in der Zeit vorhergeht: ist, im Gegentheil, uns jenes nicht bekannt, wohl aber ihr Kausalverhältniß überhaupt; so suchen wir die Succession empirisch auszumachen und bestimmen danach, welcher von beiden die
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