Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Subjekts mehr oder weniger Vollständigkeit hat: der Begriff »Katze« enthält im Kopfe Cuviers hundert Mal mehr, als in dem seines Bedienten: daher die selben Urtheile darüber für Diesen synthetisch, für Jenen bloß analytisch seyn werden. Nimmt man aber die Begriffe objektiv, und will nun entscheiden, ob ein gegebenes Urtheil analytisch oder synthetisch sei; so verwandle man das Prädikat desselben in sein kontradiktorisches Gegentheil und lege dieses, ohne Kopula, dem Subjekt bei: giebt nun dies eine Contradictio in adjecto ; so war das Urtheil analytisch, außerdem aber synthetisch.
Daß die Arithmetik auf der reinen Anschauung der Zeit beruhe, ist nicht so augenfällig, wie daß die Geometrie auf der des Raums basirt sei 2 . Man kann es aber auf folgende Art beweisen. Alles Zählen besteht im wiederholten Setzen der Einheit: bloß um stets zu wissen, wie oft wir schon die Einheit gesetzt haben, markiren wir sie jedesmal mit einem andern Wort: dies sind die Zahlworte. Nun ist Wiederholung nur möglich durch Succession: diese aber, also das Nacheinander, beruht unmittelbar auf der Anschauung der Zeit , ist ein nur mittelst dieser verständlicher Begriff: also ist auch das Zählen nur mittelst der Zeit möglich. – Dieses Beruhen alles Zählens auf der Zeit verräth sich auch dadurch, daß in allen Sprachen die Multiplikation durch »Mal« bezeichnet wird, also durch einen Zeitbegriff: sexies , hexakis , six fois, six times . Nun aber ist das einfache Zählen schon ein Multipliciren mit Eins, weshalb auch in Pestalozzi's Lehranstalt die Kinder stets so multipliciren mußten: »2 Mal 2 ist 4 Mal Eins.« – Auch Aristoteles hat schon die enge Verwandtschaft der Zahl mit der Zeit erkannt und dargelegt, im vierzehnten Kapitel des vierten Buches der Physik. Die Zeit ist ihm »die Zahl der Bewegung« ( ho chronos arithmos esti kinêseôs ). Tiefsinnig wirft er die Frage auf, ob die Zeit seyn könnte, wenn die Seele nicht wäre, und verneint sie. – Wenn die Arithmetik nicht diese reine Anschauung der Zeit zur Grundlage hätte, so wäre sie keine Wissenschaft a priori , mithin ihre Sätze nicht von unfehlbarer Gewißheit.
Obwohl die Zeit , wie der Raum, die Erkenntnißform des Subjekts ist; so stellt sie sich gleichwohl, eben wie auch der Raum, als von demselben unabhängig und völlig objektiv vorhanden dar. Wider unsern Willen, oder ohne unser Wissen, eilt oder zögert sie: man fragt nach der Uhr, man forscht nach der Zeit, als nach einem ganz Objektiven. Und was ist dieses Objektive? Nicht das Fortschreiten der Gestirne, oder der Uhren, als welche bloß dienen, den Lauf der Zeit selbst daran zu messen: sondern es ist etwas von allen Dingen Verschiedenes, doch aber wie diese, von unserm Wollen und Wissen Unabhängiges. Es existirt nur in den Köpfen der erkennenden Wesen; aber die Gleichmäßigkeit seines Ganges und seine Unabhängigkeit vom Willen giebt ihm die Berechtigung der Objektivität.
Die Zeit ist zunächst die Form des innern Sinnes. Das folgende Buch anticipirend, bemerke ich, daß der alleinige Gegenstand des innern Sinnes der eigene Wille des Erkennenden ist. Die Zeit ist daher die Form, mittelst welcher dem ursprünglich und an sich selbst erkenntnißlosen individuellen Willen die Selbsterkenntniß möglich wird. In ihr nämlich erscheint sein an sich einfaches und identisches Wesen auseinandergezogen zu einem Lebenslauf. Aber eben wegen jener ursprünglichen Einfachheit und Identität des sich so Darstellenden bleibt sein Charakter stets genau der selbe; weshalb auch der Lebenslauf selbst durchweg den selben Grundton beibehält, ja, die mannigfaltigen Vorgänge und Scenen desselben sich im Grunde doch nur wie Variationen zu einem und dem selben Thema verhalten, –
Die Apriorität des Kausalitätsgesetzes ist von den Engländern und Franzosen theils noch gar nicht eingesehn , theils nicht recht begriffen: daher Einige von ihnen die früheren Versuche, für dasselbe einen empirischen Ursprung zu finden, fortsetzen. Maine de Biran setzt diesen in die Erfahrung, daß dem Willensakt als Ursache die Bewegung des Leibes als Wirkung folge. Aber diese Thatsache selbst ist falsch. Keineswegs erkennen wir den eigentlichen, unmittelbaren Willensakt als ein von der Aktion des Leibes Verschiedenes und Beide als durch das Band der Kausalität verknüpft; sondern Beide sind Eins und untheilbar. Zwischen ihnen ist keine Succession: sie sind zugleich. Sie sind Eins und das Selbe, auf doppelte Weise
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