Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
schwer einprägen; während die von den alten, unvergeßlichen Urhebern der Wissenschaften gewählten Griechischen und Lateinischen Ausdrücke die sämmtlichen entgegengesetzten guten Eigenschaften haben und durch ihren sonoren Klang sich leicht einprägen. Was für ein häßliches, kakophonisches Wort ist nicht schon »Stickstoff « statt Azot! »Verbum, Substantiv, Adjektiv«, behält und unterscheidet sich doch leichter, als Zeitwort, Nennwort, Beiwort, oder gar »Umstandswort« statt Adverbium. Ganz unausstehlich und dazu noch gemein und barbiergesellenhaft ist es in der Anatomie. Schon »Pulsader und Blutader« sind der augenblicklichen Verwechselung leichter ausgesetzt, als Arterie und Vene; aber vollends verwirrend sind Ausdrücke wie »Fruchthälter, Fruchtgang und Fruchtleiter« statt uterus, vagina und tuba Faloppii , die doch jeder Arzt kennen muß und mit denen er in allen Europäischen Sprachen ausreicht; desgleichen »Speiche und Ellenbogenröhre« statt radius und ulna , die ganz Europa seit Jahrtausenden versteht: wozu alle jene ungeschickte, verwirrende, schleppende, ja abgeschmackte Verdeutschung? Nicht weniger widerlich ist die Uebersetzung der Kunstausdrücke in der Logik, wo denn unsere genialen Philosophieprofessoren die Schöpfer einer neuen Terminologie sind und fast Jeder seine eigene hat: bei G. E. Schulze z.B. heißt das Subjekt »Grundbegriff«, das Prädikat »Beilegungsbegriff«: da giebt es »Beilegungsschlüsse, Voraussetzungsschlüsse und Entgegensetzungsschlüsse«, die Urtheile haben »Größe, Beschaffenheit, Verhältniß und Zuverlässigkeit« d.h. Quantität, Qualität, Relation und Modalität. Die selbe widerwärtige Wirkung jener Deutschthümelei wird man in allen Wissenschaften finden. – Die Lateinischen und Griechischen Ausdrücke haben zudem noch den Vorzug, daß sie den wissenschaftlichen Begriff als einen solchen stämpeln und ihn aussondern aus den Worten des gemeinen Verkehrs und den diesen anklebenden Ideenassociationen; während z.B. »Speisebrei«, statt Chymus, von der Kost kleiner Kinder zu reden, und »Lungensack«, statt pleura , nebst »Herzbeutel«, statt pericardium , eher von Metzgern als von Anatomen herzurühren scheint. Endlich hängt an den antiken terminis technicis die unmittelbarste Nothwendigkeit der Erlernung der alten Sprachen, welche durch den Gebrauch der lebenden zu gelehrten Untersuchungen mehr und mehr in Gefahr geräth, beseitigt zu werden. Kommt es aber dahin, verschwindet der an die Sprachen gebundene Geist der Alten aus dem gelehrten Unterricht; dann wird Rohheit, Plattheit und Gemeinheit sich der ganzen Litteratur bemächtigen. Denn die Werke der Alten sind der Nordstern für jedes künstlerische oder litterarische Streben: geht der euch unter; so seid ihr verloren. Schon jetzt merkt man an dem jämmerlichen und läppischen Stil der meisten Schreiber, daß sie nie Latein geschrieben haben A3 . Sehr passend nennt man die Beschäftigung mit den Schriftstellern des Alterthums Humanitätsstudien : denn durch sie wird der Schüler zuvörderst wieder ein Mensch , indem er eintritt in die Welt, die noch rein war von allen Fratzen des Mittelalters und der Romantik, welche nachher in die Europäische Menschheit so tief eindrangen, daß auch noch jetzt Jeder damit betüncht zur Welt kommt und sie erst abzustreifen hat, um nur zuvörderst wieder ein Mensch zu werden. Denkt nicht, daß eure moderne Weisheit jene Weihe zum Menschen je ersetzen könne: ihr seid nicht, wie Griechen und Römer, geborene Freie, unbefangene Söhne der Natur. Ihr seid zunächst die Söhne und Erben des rohen Mittelalters und seines Unsinns, des schändlichen Pfaffentrugs und des halb brutalen, halb geckenhaften Ritterwesens. Geht es gleich mit Beiden jetzt allgemach zu Ende, so könnt ihr darum doch noch nicht auf eigenen Füßen stehn. Ohne die Schule der Alten wird eure Litteratur in gemeines Geschwätze und platte Philisterei ausarten. – Aus allen diesen Gründen also ist es mein wohlgemeinter Rath, daß man der oben gerügten Deutschmichelei ungesäumt ein Ende mache.
Ferner will ich hier die Gelegenheit nehmen, das Unwesen zu rügen, welches seit einigen Jahren, auf unerhörte Weise, mit der deutschen Rechtschreibung getrieben wird. Die Skribler, in jeder Gattung, haben nämlich so etwas vernommen von Kürze des Ausdrucks, wissen jedoch nicht, daß diese besteht in sorgfältigem Weglassen alles Ueberflüssigen, wozu denn freilich ihre ganze Schreiberei gehört;
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