Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
weder durch Flexion, noch Artikel an: der Leser mag ihn rathen. Besonders gern aber eskrokiren sie die doppelten Vokale und das tonverlängernde h, diese der Prosodie geweihten Buchstäben; welches Verfahren gerade so ist, wie wenn man aus dem Griechischen das h und o verbannen und statt ihrer e und o setzen wollte. Wer nun Scham, Märchen, Maß, Spaß schreibt, sollte auch Lon, Son, Stat, Sat, Jar, Al u.s.w. schreiben. Die Nachkommen aber werden, da ja die Schrift das Abbild der Rede ist, vermeinen, daß man auszusprechen hat, wie man schreibt: wonach dann von der Deutschen Sprache nur ein gekniffenes, spitzmäuliges, dumpfes Konsonantengeräusch übrig bleiben und alle Prosodie verloren gehn wird. Sehr beliebt ist auch, wegen Ersparniß eines Buchstabens, die Schreibart »Literatur« statt der richtigen »Litteratur«. Zu ihrer Vertheidigung wird das Particip des Verbums linere für den Ursprung des Wortes ausgegeben. Linere heißt aber schmieren : daher möchte für den größten Theil der Deutschen Buchmacherei die beliebte Schreibart wirklich die richtige seyn, so daß man eine sehr kleine Litteratur und eine sehr ausgedehnte Literatur unterscheiden könnte. – Um kurz zu schreiben, veredele man seinen Stil und vermeide alles unnütze Gewäsche und Gekaue: da braucht man nicht, des theuren Papiers halber, Silben und Buchstaben zu eskrokiren. Aber so viele unnütze Seiten, unnütze Bogen, unnütze Bücher zu schreiben, und dann diese Zeit- und Papiervergeudung an den unschuldigen Silben und Buchstaben wieder einbringen zu wollen, – das ist wahrlich der Superlativ Dessen, was man auf Englisch pennywise and poundfoolish nennt. – Zu beklagen ist es, daß keine Deutsche Akademie daist, dem litterarischen Sanskülottismus gegenüber die Sprache in ihren Schutz zu nehmen, zumal in einer Zeit, wo auch die der alten Sprachen Unkundigen es wagen dürfen, die Presse zu beschäftigen. Ueber den ganzen, heut zu Tage mit der Deutschen Sprache getriebenen, unverzeihlichen Unfug habe ich mich des Weiteren ausgelassen in meinen Parergis, Bd. II, Kap. 23. –
Von der bereits in meiner Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, § 51, vorgeschlagenen und auch hier, § 7 und 15 des ersten Bandes, wieder berührten, obersten Eintheilung der Wissenschaften , nach der in ihnen vorherrschenden Gestalt des Satzes vom Grunde, will ich eine kleine Probe hiehersetzen, die jedoch ohne Zweifel mancher Verbesserung und Vervollständigung fähig seyn wird.
I. Reine Wissenschaften a priori.
1. Die Lehre vom Grunde des Seyns.
a) im Raum: Geometrie.
b) in der Zeit: Arithmetik und Algebra.
2. Die Lehre vom Grunde des Erkennens: Logik.
II. Empirische oder Wissenschaften a posteriori.
Sämmtlich nach dem Grunde des Werdens, d.i. dem Gesetz der Kausalität, und zwar nach dessen drei Modis.
1. Die Lehre von den Ursachen:
a) Allgemeine: Mechanik, Hydrodynamik, Physik, Chemie.
b) Besondere: Astronomie, Mineralogie, Geologie, Technologie, Pharmacie.
2. Die Lehre von den Reizen:
a) Allgemeine: Physiologie der Pflanzen und Thiere, nebst deren Hülfswissenschaft Anatomie.
b) Besondere: Botanik, Zoologie, Zootomie, vergleichende Physiologie, Pathologie, Therapie.
3. Die Lehre von den Motiven:
a) Allgemeine: Ethik, Psychologie.
b) Besondere: Rechtslehre, Geschichte.
Die Philosophie oder Metaphysik, als Lehre vom Bewußtseyn und dessen Inhalt überhaupt, oder vom Ganzen der Erfahrung als solcher, tritt nicht in die Reihe; weil sie nicht ohne Weiteres der Betrachtung, die der Satz vom Grunde heischt, nachgeht, sondern zuvörderst diesen selbst zum Gegenstande hat. Sie ist als der Grundbaß aller Wissenschaften anzusehn, ist aber höherer Art als diese und der Kunst fast so sehr als der Wissenschaft verwandt. – Wie in der Musik jede einzelne Periode dem Ton entsprechen muß, zu welchem der Grundbaß eben fortgeschritten ist; so wird Jeder Schriftsteller, nach Maaßgabe seines Faches, das Gepräge der zu seiner Zeit herrschenden Philosophie tragen. – Ueberdies aber hat jede Wissenschaft noch ihre specielle Philosophie: daher man von einer Philosophie der Botanik, der Zoologie, der Geschichte u.s.w. redet. Hierunter ist vernünftigerweise nichts Anderes zu verstehn, als die Hauptresultate jeder Wissenschaft selbst, vom höchsten, d.h. allgemeinsten Standpunkt aus, der innerhalb derselben möglich ist, betrachtet und zusammengefaßt. Diese allgemeinsten Ergebnisse schließen sich unmittelbar an die allgemeine Philosophie an, indem sie
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