Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
einer anschaulichen Eigenschaft, deren Name im ihrigen vorkommt. Jedoch ist dies nur ein einstweiliges Gerüst zur Stützung: späterhin lassen wir es fallen, indem die Gedankenassociation eine unmittelbare wird.
Das Suchen nach einem Faden der Erinnerung zeigt sich in eigenthümlicher Art, wenn es ein Traum ist, den wir beim Erwachen vergessen haben, als wo wir vergeblich nach Dem suchen, was noch vor wenigen Minuten uns mit der Macht der hellsten Gegenwart beschäftigte, jetzt aber ganz entwichen ist; weshalb wir dann nach irgend einem zurückgebliebenen Eindruck haschen, an dem das Fädchen hienge, welches, vermöge der Association, jenen Traum wieder in unser Bewußtsein zurückziehn könnte. Selbst aus dem magnetisch-somnambulen Schlafe soll bisweilen Erinnerung möglich seyn, durch ein im Wachen vorgefundenes sinnliches Zeichen: nach Kieser, »Tellurismus«, Bd. II, § 271. Auf der selben Unmöglichkeit des Eintritts eines Gedankens ohne seinen Anlaß beruht es, daß, wenn wir uns vorsetzen, zu einer bestimmten Zeit irgend etwas zu thun, dieses nur dadurch geschehn kann, daß wir entweder bis dahin an nichts Anderes denken, oder aber zur bestimmten Zeit durch irgend etwas daran erinnert werden, welches entweder ein äußerer, dazu vorherbereiteter Eindruck, oder auch ein selbst wieder gesetzmäßig herbeigeführter Gedanke seyn kann. Beides gehört dann in die Klasse der Motive. – Jeden Morgen, beim Erwachen, ist das Bewußtseyn eine tabula rasa , die sich aber schnell wieder füllt. Zunächst nämlich ist es die jetzt wieder eintretende Umgebung des vorigen Abends, welche uns an das erinnert, was wir unter eben dieser Umgebung gedacht haben: daran knüpfen sich die Ereignisse des vorigen Tages, und so ruft ein Gedanke schnell den andern hervor, bis Alles, was uns gestern beschäftigte, wieder daist. Darauf, daß dies gehörig geschehe, beruht die Gesundheit des Geistes, im Gegensatz des Wahnsinns, der, wie im dritten Buche gezeigt wird, eben darin besteht, daß große Lücken im Zusammenhange der Rückerinnerung Statt haben. Wie gänzlich aber der Schlaf den Faden der Erinnerung unterbricht, so daß dieser an jedem Morgen wieder angeknüpft werden muß, sehn wir an einzelnen Unvollkommenheiten dieser Operation: z.B. eine Melodie, welche Abends uns zum Ueberdruß im Kopfe herumgieng, können wir bisweilen am andern Morgen nicht wiederfinden.
Eine Ausnahme zu dem Gesagten scheinen die Fälle zu liefern, wo ein Gedanke, oder ein Bild der Phantasie, uns plötzlich und ohne bewußten Anlaß in den Sinn kommt. Meistens ist dies jedoch Täuschung, die darauf beruht, daß der Anlaß so gering, der Gedanke selbst aber so hell und interessant war, daß er jenen augenblicklich aus dem Bewußtsein verdrängte: bisweilen aber mag ein solcher urplötzlicher Eintritt einer Vorstellung innere körperliche Eindrücke, entweder der Theile des Gehirns auf einander, oder auch des organischen Nervensystems auf das Gehirn zur Ursache haben.
Ueberhaupt ist in der Wirklichkeit der Gedankenproceß unsers Innern nicht so einfach, wie die Theorie desselben; da hier vielerlei ineinandergreift. Vergleichen wir, um uns die Sache zu veranschaulichen, unser Bewußtsein mit einem Wasser von einiger Tiefe; so sind die deutlich bewußten Gedanken bloß die Oberfläche: die Masse hingegen ist das Undeutliche, die Gefühle, die Nachempfindung der Anschauungen und des Erfahrenen überhaupt, versetzt mit der eigenen Stimmung unsers Willens, welcher der Kern unsers Wesens ist. Diese Masse des ganzen Bewußtseyns ist nun, mehr oder weniger, nach Maaßgabe der intellektuellen Lebendigkeit, in steter Bewegung, und was in Folge dieser auf die Oberfläche steigt, sind die klaren Bilder der Phantasie, oder die deutlichen, bewußten, in Worten ausgedrückten Gedanken und die Beschlüsse des Willens. Selten liegt der ganze Proceß unsers Denkens und Beschließens auf der Oberfläche, d.h. besteht in einer Verkettung deutlich gedachter Urtheile; obwohl wir dies anstreben, um uns und Andern Rechenschaft geben zu können: gewöhnlich aber geschieht in der dunkeln Tiefe die Rumination des von außen erhaltenen Stoffes, durch welche er zu Gedanken umgearbeitet wird; und sie geht beinahe so unbewußt vor sich, wie die Umwandelung der Nahrung in die Säfte und Substanz des Leibes. Daher kommt es, daß wir oft vom Entstehn unserer tiefsten Gedanken keine Rechenschaft geben können: sie sind die Ausgeburt unsers geheimnißvollen Innern. Urtheile, Einfälle,
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