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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Vorstellungs- und Denkfragmente jeder Art, welche sich beständig in unserm Kopfe durchkreuzen, nicht völlig verworren werden, sondern uns stets noch wieder darin zurechtfinden und Alles aneinanderzupassen vermögen. Offenbar muß doch ein einfacher Faden daseyn, auf dem sich Alles aneinanderreiht: was ist aber dieser? – Das Gedächtniß allein reicht dazu nicht aus; da es wesentliche Beschränkungen hat, von denen ich bald reden werde, und überdies höchst unvollkommen und treulos ist. Das logische Ich, oder gar die transscendentale synthetische Einheit der Apperception , – sind Ausdrücke und Erläuterungen, welche nicht leicht dienen werden, die Sache faßlich zu machen, vielmehr wird Manchem dabei einfallen:

    »Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.«

    Kants Satz: »das Ich denke muß alle unsere Vorstellungen begleiten«, ist unzureichend: denn das Ich ist eine unbekannte Größe, d.h. sich selber ein Geheimniß. – Das, was dem Bewußtsein Einheit und Zusammenhang giebt, indem es, durchgehend durch dessen sämmtliche Vorstellungen, seine Unterlage, sein bleibender Träger ist, kann nicht selbst durch das Bewußtseyn bedingt, mithin keine Vorstellung seyn: vielmehr muß es das Prius des Bewußtseins und die Wurzel des Baumes seyn, davon jenes die Frucht ist. Dieses, sage ich, ist der Wille : er allein ist unwandelbar und schlechthin identisch, und hat, zu seinen Zwecken, das Bewußtseyn hervorgebracht. Daher ist auch er es, welcher ihm Einheit giebt und alle Vorstellungen und Gedanken desselben zusammenhält, gleichsam als durchgehender Grundbaß sie begleitend. Ohne ihn hätte der Intellekt nicht mehr Einheit des Bewußtseyns, als ein Spiegel, in welchem sich successiv bald Dieses bald jenes darstellt, oder doch höchstens nur soviel wie ein Konvexspiegel, dessen Strahlen in einen imaginären Punkt hinter seiner Oberfläche zusammenlaufen. Nun aber ist der Wille allein das Beharrende und Unveränderliche im Bewußtseyn. Er ist es, welcher alle Gedanken und Vorstellungen, als Mittel zu seinen Zwecken, zusammenhält, sie mit der Farbe seines Charakters, seiner Stimmung und seines Interesses tingirt, die Aufmerksamkeit beherrscht und den Faden der Motive, deren Einfluß auch Gedächtniß und Ideenassociation zuletzt in Thätigkeit setzt, in der Hand hält: von ihm ist im Grunde die Rede, so oft »Ich« in einem Urtheil vorkommt. Er also ist der wahre, letzte Einheitspunkt des Bewußtseins und das Band aller Funktionen und Akte desselben: er gehört aber nicht selbst zum Intellekt, sondern ist nur dessen Wurzel, Ursprung und Beherrscher.
    Aus der Form der Zeit und der einfachen Dimension der Vorstellungsreihe, vermöge welcher der Intellekt, um Eines aufzufassen, alles Andere fallen lassen muß, folgt, wie seine Zerstreuung, auch seine Vergeßlichkeit . Das Meiste von Dem, was er fallen gelassen, nimmt er nie wieder auf; zumal da die Wiederaufnahme an den Satz vom Grunde gebunden ist, also eines Anlasses bedarf, den die Gedankenassociation und Motivation erst zu liefern hat; welcher Anlaß jedoch um so entfernter und geringer seyn darf, je mehr unsere Empfindlichkeit dafür durch das Interesse des Gegenstandes erhöht ist. Nun aber ist das Gedächtniß, wie ich schon in der Abhandlung über den Satz vom Grunde gezeigt habe, kein Behältniß, sondern eine bloße Uebungsfähigkeit im Hervorbringen beliebiger Vorstellungen, die daher stets durch Wiederholung in Uebung erhalten werden müssen; da sie sonst sich allmälig verlieren. Demzufolge ist das Wissen auch des gelehrtesten Kopfes doch nur virtualiter vorhanden, als eine im Hervorbringen gewisser Vorstellungen erlangte Uebung: actualiter hingegen ist auch er auf eine einzige Vorstellung beschränkt und nur dieser einen sich zur Zeit bewußt. Hieraus entsteht ein seltsamer Kontrast zwischen Dem, was er potentiâ und Dem, was er actu weiß, d.h. zwischen seinem Wissen und seinem jedesmaligen Denken: Ersteres ist eine unübersehbare, stets etwas chaotische Masse, Letzteres ein einziger deutlicher Gedanke. Das Verhältniß gleicht dem, zwischen den zahllosen Sternen des Himmels und dem engen Gesichtsfelde des Teleskops: es tritt auffallend hervor, wann er, auf einen Anlaß, irgend eine Einzelheit aus seinem Wissen zur deutlichen Erinnerung bringen will, wo Zeit und Mühe erfordert wird, es aus jenem Chaos hervorzusuchen. Die Schnelligkeit hierin ist eine besondere Gabe, aber sehr von Tag und Stunde abhängig: daher versagt bisweilen das

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