Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
Vom Netzwerk:
eine gegenseitige Verbindlichkeit eingegangen, die ich meinen Wünschen sehr angemessen glaubte. Wie nun, beim Fortgang der Sache, die Nachtheile und Beschwerden fühlbar werden, werfe ich auf mich den Verdacht, daß ich was ich so eifrig betrieben wohl gar bereue: jedoch reinige ich mich davon, indem ich mir die Versicherung gebe, daß ich, auch ungebunden, auf dem selben Wege fortfahren würde. Jetzt aber löst sich unerwartet die Verbindlichkeit von der andern Seite auf, und mit Erstaunen nehme ich wahr, daß dies zu meiner großen Freude und Erleichterung geschieht. – Oft wissen wir nicht was wir wünschen, oder was wir fürchten. Wir können Jahre lang einen Wunsch hegen, ohne ihn uns einzugestehn, oder auch nur zum klaren Bewußtsein kommen zu lassen; weil der Intellekt nichts davon erfahren soll; indem die gute Meinung, welche wir von uns selbst haben, dabei zu leiden hätte: wird er aber erfüllt, so erfahren wir an unserer Freude, nicht ohne Beschämung, daß wir Dies gewünscht haben: z.B. den Tod eines nahen Anverwandten, den wir beerben. Und was wir eigentlich fürchten, wissen wir bisweilen nicht; weil uns der Muth fehlt, es uns zum klaren Bewußtseyn zu bringen. – Sogar sind wir oft über das eigentliche Motiv, aus dem wir etwas thun oder unterlassen, ganz im Irrthum, – bis etwan endlich ein Zufall uns das Geheimniß aufdeckt und wir erkennen, daß was wir für das Motiv gehalten, es nicht war, sondern ein anderes, welches wir uns nicht hatten eingestehn wollen, weil es der guten Meinung, die wir von uns selbst hegen, keineswegs entspricht. Z.B. wir unterlassen etwas, aus rein moralischen Gründen, wie wir glauben; erfahren jedoch hinterher, daß bloß die Furcht uns abhielt, indem wir es thun, sobald alle Gefahr beseitigt ist. In einzelnen Fällen kann es hiemit so weit gehn, daß ein Mensch das eigentliche Motiv seiner Handlung nicht ein Mal muthmaaßt, ja, durch ein solches bewogen zu werden sich nicht für fähig hält: dennoch ist es das eigentliche Motiv seiner Handlung. – Beiläufig haben wir an allem Diesen eine Bestätigung und Erläuterung der Regel des Larochefoucauld: l'amour-propre est plus habile que le plus habile homme du monde ; ja, sogar einen Kommentar zum Delphischen gnôthi sauton und dessen Schwierigkeit. – Wenn nun hingegen, wie alle Philosophen wähnten, der Intellekt unser eigentliches Wesen ausmachte und die Willensbeschlüsse ein bloßes Ergebniß der Erkenntniß wären; so müßte für unsern moralischen Werth gerade nur das Motiv, aus welchem wir zu handeln wähnen , entscheidend seyn; auf analoge Art, wie die Absicht, nicht der Erfolg, hierin entscheidend ist. Eigentlich aber wäre alsdann der Unterschied zwischen gewähntem und wirklichem Motiv unmöglich. – Alle hier dargestellten Fälle also, dazu jeder Aufmerksame Analoga an sich selbst beobachten kann, lassen uns sehn, wie der Intellekt dem Willen so fremd ist, daß er von diesem bisweilen sogar mystificirt wird: denn er liefert ihm zwar die Motive, aber in die geheime Werkstätte seiner Beschlüsse dringt er nicht. Er ist zwar ein Vertrauter des Willens, jedoch ein Vertrauter, der nicht Alles erfährt. Eine Bestätigung hievon giebt auch noch die Thatsache, welche fast Jeder an sich zu beobachten ein Mal Gelegenheit haben wird, daß bisweilen der Intellekt dem Willen nicht recht traut. Nämlich wenn wir irgend einen großen und kühnen Entschluß gefaßt haben, – der als solcher doch eigentlich nur ein vom Willen dem Intellekt gegebenes Versprechen ist; – so bleibt oft in unserm Innern ein leiser, nicht eingestandener Zweifel, ob es auch ganz ernstlich damit gemeint sei, ob wir auch bei der Ausführung nicht wanken oder zurückweichen, sondern Festigkeit und Beharrlichkeit genug haben werden, es zu vollbringen. Es bedarf daher der That, um uns selbst von der Aufrichtigkeit des Entschlusses zu überzeugen. –
    Alle diese Thatsachen bezeugen die gänzliche Verschiedenheit des Willens vom Intellekt, das Primat des Ersteren und die untergeordnete Stellung des Letzteren.
    4) Der Intellekt ermüdet; der Wille ist unermüdlich. – Nach anhaltender Kopfarbeit fühlt man die Ermüdung des Gehirnes, wie die des Armes, nach anhaltender Körperarbeit. Alles Erkennen ist mit Anstrengung verknüpft: Wollen hingegen ist unser selbsteigenes Wesen, dessen Aeußerungen ohne alle Mühe und völlig von selbst vor sich gehn. Daher, wenn unser Wille stark aufgeregt ist, wie in allen Affekten, also im Zorn, Furcht,

Weitere Kostenlose Bücher