Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Erkenntniß. Die größte Koncentration der Subjektivität besteht im eigentlichen Willensakt , in welchem wir daher das deutlichste Bewußtseyn unsers Selbst haben. Alle andern Erregungen des Willens sind nur Vorbereitungen zu ihm: er selbst ist für die Subjektivität Das, was für den elektrischen Apparat das Ueberspringen des Funkens ist. – Jede leibliche Empfindung ist schon an sich Erregung des Willens und zwar öfterer der noluntas , als der voluntas . Die Erregung desselben auf geistigem Wege ist die, welche mittelst der Motive geschieht: hier wird also durch die Objektivität selbst die Subjektivität erweckt und ins Spiel gesetzt. Dies tritt ein, sobald irgend ein Objekt nicht mehr rein objektiv, also antheilslos, aufgefaßt wird, sondern, mittelbar oder unmittelbar, Wunsch oder Abneigung erregt, sei es auch nur mittelst einer Erinnerung: denn alsdann wirkt es schon als Motiv, im weitesten Sinne dieses Worts.
Ich bemerke hiebei, daß das abstrakte Denken und das Lesen, welche an Worte geknüpft sind, zwar im weitem Sinne auch zum Bewußtseyn anderer Dinge , also zur objektiven Beschäftigung des Geistes, gehören; jedoch nur mittelbar, nämlich mittelst der Begriffe: diese selbst aber sind das künstliche Produkt der Vernunft und schon daher ein Werk der Absichtlichkeit. Auch ist bei aller abstrakten Geistesbeschäftigung der Wille der Lenker, als welcher ihr, seinen Absichten gemäß, die Richtung ertheilt und auch die Aufmerksamkeit zusammenhält; daher dieselbe auch stets mit einiger Anstrengung verknüpft ist: diese aber setzt Thätigkeit des Willens voraus. Bei dieser Art der Geistesthätigkeit hat also nicht die vollkommene Objektivität des Bewußtseyns Statt, wie sie, als Bedingung, die ästhetische Auffassung, d.i. die Erkenntniß der Ideen, begleitet.
Dem Obigen zufolge ist die reine Objektivität der Anschauung, vermöge welcher nicht mehr das einzelne Ding als solches, sondern die Idee seiner Gattung erkannt wird, dadurch bedingt, daß man nicht mehr seiner selbst, sondern allein der angeschauten Gegenstände sich bewußt ist, das eigene Bewußtseyn also bloß als der Träger der objektiven Existenz jener Gegenstände übrig geblieben ist. Was diesen Zustand erschwert und daher selten macht, ist, daß darin gleichsam das Accidenz (der Intellekt) die Substanz (den Willen) bemeistert und aufhebt, wenn gleich nur auf eine kurze Weile. Hier liegt auch die Analogie und sogar Verwandtschaft desselben mit der am Ende des folgenden Buches dargestellten Verneinung des Willens. – Obgleich nämlich die Erkenntniß, wie im vorigen Buche nachgewiesen, aus dem Willen entsprossen ist und in der Erscheinung desselben, dem Organismus, wurzelt; so wird sie doch gerade durch ihn verunreinigt, wie die Flamme durch ihr Brennmaterial und seinen Rauch. Hierauf beruht es, daß wir das rein objektive Wesen der Dinge, die in ihnen hervortretenden Ideen , nur dann auffassen können, wann wir kein Interesse an ihnen selbst haben, indem sie in keiner Beziehung zu unserm Willen stehn. Hieraus nun wieder entspringt es, daß die Ideen der Wesen uns leichter aus dem Kunstwerk, als aus der Wirklichkeit ansprechen. Denn was wir nur im Bilde, oder in der Dichtung erblicken, steht außer aller Möglichkeit irgend einer Beziehung zu unserm Willen; da es schon an sich selbst bloß für die Erkenntniß daist und sich unmittelbar allein an diese wendet. Hingegen setzt das Auffassen der Ideen aus der Wirklichkeit gewissermaaßen ein Abstrahiren vom eigenen Willen, ein Erheben über sein Interesse, voraus, welches eine besondere Schwungkraft des Intellekts erfordert. Diese ist im höhern Grade und auf einige Dauer nur dem Genie eigen, als welches eben darin besteht, daß ein größeres Maaß von Erkenntnißkraft daist, als der Dienst eines individuellen Willens erfordert, welcher Ueberschuß frei wird und nun ohne Bezug auf den Willen die Welt auffaßt. Daß also das Kunstwerk die Auffassung der Ideen, in welcher der ästhetische Genuß besteht, so sehr erleichtert, beruht nicht bloß darauf, daß die Kunst, durch Hervorhebung des Wesentlichen und Aussonderung des Unwesentlichen, die Dinge deutlicher und charakteristischer darstellt, sondern eben so sehr darauf, daß das zur rein objektiven Auffassung des Wesens der Dinge erforderte gänzliche Schweigen des Willens am sichersten dadurch erreicht wird, daß das angeschaute Objekt selbst gar nicht im Gebiete der Dinge liegt, welche einer Beziehung zum Willen fähig sind, indem es
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