Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
dahin deutet.
Ergänzungen zum dritten Buch.
Et is similis spectatori est, quod ab omni separatus spectaculum videt.
Oupnekhat , Vol. I, p. 304.
Kapitel 29. Von der Erkenntniß der Ideen
Der Intellekt, welcher bis hieher nur in seinem ursprünglichen und natürlichen Zustande der Dienstbarkeit unter dem Willen betrachtet worden war, tritt im dritten Buche auf in seiner Befreiung von jener Dienstbarkeit; wobei jedoch sogleich zu bemerken ist, daß es sich hier nicht um eine dauernde Freilassung, sondern bloß um eine kurze Feierstunde, eine ausnahmsweise, ja eigentlich nur momentane Losmachung vom Dienste des Willens handelt. – Da dieser Gegenstand im ersten Bande ausführlich genug behandelt ist, habe ich hier nur wenige ergänzende Betrachtungen nachzuholen.
Wie also daselbst, § 33, ausgeführt worden, erkennt der im Dienste des Willens, also in seiner natürlichen Funktion thätige Intellekt eigentlich bloße Beziehungen der Dinge: zunächst nämlich ihre Beziehungen auf den Willen, dem er angehört, selbst, wodurch sie zu Motiven desselben werden; dann aber auch, eben zum Behuf der Vollständigkeit dieser Erkenntniß, die Beziehungen der Dinge zu einander. Diese letztere Erkenntniß tritt in einiger Ausdehnung und Bedeutsamkeit erst beim menschlichen Intellekt ein; beim thierischen hingegen, selbst wo er schon beträchtlich entwickelt ist, nur innerhalb sehr enger Gränzen. Offenbar geschieht die Auffassung der Beziehungen, welche die Dinge zu einander haben, nur noch mittelbar im Dienste des Willens. Sie macht daher den Uebergang zu dem von diesem ganz unabhängigen, rein objektiven Erkennen: sie ist die wissenschaftliche, dieses die künstlerische. Wenn nämlich von einem Objekte viele und mannigfaltige Beziehungen unmittelbar aufgefaßt werden; so tritt aus diesen, immer deutlicher, das selbsteigene Wesen desselben hervor und baut sich so aus lauter Relationen allmälig auf; wiewohl es selbst von diesen ganz verschieden ist. Bei dieser Auffassungsweise wird zugleich die Dienstbarkeit des Intellekts unter dem Willen immer mittelbarer und geringer. Hat der Intellekt Kraft genug, das Uebergewicht zu erlangen und die Beziehungen der Dinge auf den Willen ganz fahren zu lassen, um statt ihrer das durch alle Relationen hindurch sich aussprechende, rein objektive Wesen einer Erscheinung aufzufassen; so verläßt er, mit dem Dienste des Willens zugleich, auch die Auffassung bloßer Relationen und damit eigentlich auch die des einzelnen Dinges als eines solchen. Er schwebt alsdann frei, keinem Willen mehr angehörig: im einzelnen Dinge erkennt er bloß das Wesentliche und daher die ganze Gattung desselben, folglich hat er zu seinem Objekte jetzt die Ideen , in meinem, mit dem ursprünglichen, Platonischen, übereinstimmenden Sinne dieses so gröblich mißbrauchten Wortes; also die beharrenden, unwandelbaren, von der zeitlichen Existenz der Einzelwesen unabhängigen Gestalten , die species rerum , als welche eigentlich das rein Objektive der Erscheinungen ausmachen. Eine so aufgefaßte Idee ist nun zwar noch nicht das Wesen des Dinges an sich selbst, eben weil sie aus der Erkenntniß bloßer Relationen hervorgegangen ist; jedoch ist sie, als das Resultat der Summe aller Relationen, der eigentliche Charakter des Dinges, und dadurch der vollständige Ausdruck des sich der Anschauung als Objekt darstellenden Wesens, aufgefaßt nicht in Beziehung auf einen individuellen Willen, sondern wie es aus sich selbst sich ausspricht, wodurch es eben seine sämmtlichen Relationen bestimmt, welche allein bis dahin erkannt wurden. Die Idee ist der Wurzelpunkt aller dieser Relationen und dadurch die vollständige und vollkommene Erscheinung , oder, wie ich es im Texte ausgedrückt habe, die adäquate Objektität des Willens auf dieser Stufe seiner Erscheinung. Sogar Form und Farbe, welche, in der anschauenden Auffassung der Idee, das Unmittelbare sind, gehören im Grunde nicht dieser an, sondern sind nur das Medium ihres Ausdrucks; da ihr, genau genommen, der Raum so fremd ist, wie die Zeit. In diesem Sinne sagte schon der Neuplatoniker Olympiodoros in seinem Kommentar zu Plato's Alkibiades (Kreuzers Ausgabe des Proklos und Olympiodoros, Bd. 2, S. 82): to eidos metadedôke men tês morphês tê hylê; ameres de on metelaben ex autês tou diastatou : d.h. die Idee, an sich unausgedehnt, ertheilte zwar der Materie die Gestalt, nahm aber erst von ihr die Ausdehnung an. – Also, wie gesagt, die Ideen offenbaren noch nicht das
Weitere Kostenlose Bücher