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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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wehe da, wo er ausschließlich Eines ist. – Jeder Zustand, jeder Mensch, jede Scene des Lebens, braucht nur rein objektiv aufgefaßt und zum Gegenstand einer Schilderung, sei es mit dem Pinsel oder mit Worten, gemacht zu werden, um interessant, allerliebst, beneidenswerth zu erscheinen; – aber steckt man darin, ist man es selbst, – da (heißt es oft) mag es der Teufel aushallen. Daher sagt Goethe :

    Was im Leben uns verdrießt,
    Man im Bilde gern genießt.

    In meinen Jünglingsjahren hatte ich eine Periode, wo ich beständig bemüht war, mich und mein Thun von außen zu sehn und mir zu schildern; – wahrscheinlich um es mir genießbar zu machen.
    Da die hier durchgeführte Betrachtung vor mir nie zur Sprache gekommen ist, will ich einige psychologische Erläuterungen derselben hinzufügen.
    Bei der unmittelbaren Anschauung der Welt und des Lebens betrachten wir, in der Regel, die Dinge bloß in ihren Relationen, folglich ihrem relativen, nicht ihrem absoluten Wesen und Daseyn nach. Wir werden z.B. Häuser, Schiffe, Maschinen und dgl. ansehn mit dem Gedanken an ihren Zweck und an ihre Angemessenheit zu demselben; Menschen mit dem Gedanken an ihre Beziehung zu uns, wenn sie eine solche haben; nächstdem aber mit dem an ihre Beziehung zu einander, sei es in ihrem gegenwärtigen Thun und Treiben, oder ihrem Stande und Gewerbe nach, etwan ihre Tüchtigkeit dazu beurtheilend u.s.w. Wir können eine solche Betrachtung der Relationen mehr oder weniger weit verfolgen, bis zu den entferntesten Gliedern ihrer Verkettung: die Betrachtung wird dadurch an Genauigkeit und Ausdehnung gewinnen; aber ihrer Qualität und Art nach bleibt sie die selbe. Es ist die Betrachtung der Dinge in ihren Relationen, ja, mittelst dieser, also nach dem Satz vom Grunde. Dieser Betrachtungsweise ist Jeder meistens und in der Regel hingegeben: ich glaube sogar, daß die meisten Menschen gar keiner andern fähig sind. – Geschieht es nun aber ausnahmsweise, daß wir eine momentane Erhöhung der Intensität unserer intuitiven Intelligenz erfahren; so sehn wir sogleich die Dinge mit ganz andern Augen, indem wir sie jetzt nicht mehr ihren Relationen nach, sondern nach Dem, was sie an und für sich selbst sind, auffassen und nun plötzlich, außer ihrem relativen, auch ihr absolutes Daseyn wahrnehmen. Alsbald vertritt jedes Einzelne seine Gattung: demnach fassen wir jetzt das Allgemeine der Wesen auf. Was wir nun dergestalt erkennen, sind die Ideen der Dinge: aus diesen aber spricht jetzt eine höhere Weisheit, als die, welche von bloßen Relationen weiß. Auch wir selbst sind dabei aus den Relationen herausgetreten und dadurch das reine Subjekt des Erkennens geworden. – Was nun aber diesen Zustand ausnahmsweise herbeiführt, müssen innere physiologische Vorgänge seyn, welche die Thätigkeit des Gehirns reinigen und erhöhen, in dem Grade, daß eine solche plötzliche Springfluth derselben entsteht. Von außen ist derselbe dadurch bedingt, daß wir der zu betrachtenden Scene völlig fremd und von ihr abgesondert bleiben, und schlechterdings nicht thätig darin verflochten sind.
    Um einzusehn, daß eine rein objektive und daher richtige Auffassung der Dinge nur dann möglich ist, wann wir dieselben ohne allen persönlichen Antheil, also unter völligem Schweigen des Willens betrachten, vergegenwärtige man sich, wie sehr jeder Affekt, oder Leidenschaft, die Erkenntniß trübt und verfälscht, ja, jede Neigung oder Abneigung, nicht etwan bloß das Urtheil, nein, schon die ursprüngliche Anschauung der Dinge entstellt, färbt, verzerrt. Man erinnere sich, wie, wann wir durch einen glücklichen Erfolg erfreut sind, die ganze Welt sofort eine heitere Farbe und eine lachende Gestalt annimmt; hingegen düster und trübe aussieht, wann Kummer uns drückt; sodann, wie selbst ein lebloses Ding, welches jedoch das Werkzeug zu irgend einem von uns verabscheuten Vorgang werden soll, eine scheußliche Physiognomie zu haben scheint: z.B. das Schafott, die Festung, auf welche wir gebracht werden, der Instrumentenkasten des Chirurgus, der Reisewagen der Geliebten u.s.w., ja, Zahlen, Buchstaben, Siegel, können uns furchtbar angrinzen und wie schreckliche Ungeheuer auf uns wirken. Hingegen sehn die Werkzeuge zur Erfüllung unserer Wünsche sogleich angenehm und lieblich aus, z.B. die bucklichte Alte mit dem Liebesbrief; der Jude mit den Louisd'ors, die Strickleiter zum entrinnen u.s.w. Wie nun hier, bei entschiedenem Abscheu oder Liebe, die Verfälschung der

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