Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Vorstellung durch den Willen unverkennbar ist; so ist sie in minderem Grade vorhanden bei jedem Gegenstande, der nur irgend eine entfernte Beziehung auf unsern Willen, d.h. auf unsere Neigung oder Abneigung, hat. Nur wann der Wille, mit seinen Interessen, das Bewußtseyn geräumt hat und der Intellekt frei seinen eigenen Gesetzen folgt, und als reines Subjekt die objektive Welt abspiegelt, dabei aber doch, obwohl von keinem Wollen angespornt, aus eigenem Triebe in höchster Spannung und Thätigkeit ist, treten Farbe und Gestalt der Dinge in ihrer wahren und vollen Bedeutung hervor: aus einer solchen Auffassung allein also können ächte Kunstwerke hervorgehn, deren bleibender Werth und stets erneuerter Beifall eben daraus entspringt, daß sie allein das rein Objektive darstellen, als welches den verschiedenen subjektiven und daher entstellten Anschauungen, als das ihnen allen Gemeinsame und allein fest Stehende, zum Grunde liegt und durchschimmert als das gemeinsame Thema aller jener subjektiven Variationen. Denn gewiß stellt die vor unsern Augen ausgebreitete Natur sich in den verschiedenen Köpfen sehr verschieden dar: und wie Jeder sie sieht, so allein kann er sie wiedergeben, sei es durch den Pinsel, oder den Meißel, oder Worte, oder Geberden auf der Bühne. Nur Objektivität befähigt zum Künstler: sie ist aber allein dadurch möglich, daß der Intellekt, von seiner Wurzel, dem Willen, abgelöst, frei schwebend, und doch höchst energisch thätig sei.
Dem Jüngling, dessen anschauender Intellekt noch mit frischer Energie wirkt, stellt sich wohl oft die Natur mit vollkommener Objektivität und daher in voller Schönheit dar. Aber den Genuß eines solchen Anblicks stört bisweilen die betrübende Reflexion, daß die gegenwärtigen, sich so schön darstellenden Gegenstände nicht auch in einer persönlichen Beziehung zu ihm stehn, vermöge deren sie ihn interessiren und freuen könnten: er erwartet nämlich sein Leben in Gestalt eines interessanten Romans. »Hinter jenem vorspringenden Felsen müßte die wohlberittene Schaar der Freunde meiner harren, – an jenem Wasserfall die Geliebte ruhen, – dieses schön beleuchtete Gebäude ihre Wohnung und jenes umrankte Fenster das ihrige seyn; – aber diese schöne Welt ist öde für mich!« u.s.w. Dergleichen melancholische Jünglingsschwärmereien verlangen eigentlich etwas sich geradezu Widersprechendes. Denn die Schönheit, mit der jene Gegenstände sich darstellen, beruht gerade auf der reinen Objektivität, d.i. Interessenlosigkeit, ihrer Anschauung, und würde daher durch die Beziehung auf den eigenen Willen, welche der Jüngling schmerzlich vermißt, sofort aufgehoben, mithin der ganze Zauber, der ihm jetzt einen, wenn auch mit einer schmerzlichen Beimischung versetzten Genuß gewährt, gar nicht vorhanden seyn. – Das Selbe gilt übrigens von jedem Alter und in jedem Verhältniß: die Schönheit landschaftlicher Gegenstände, welche uns jetzt entzückt, würde, wenn wir in persönlichen Beziehungen zu ihnen ständen, deren wir uns stets bewußt bleiben, verschwunden seyn. Alles ist nur so lange schön, als es uns nicht angeht. (Hier ist nicht die Rede von verliebter Leidenschaft, sondern von ästhetischem Genuß.) Das Leben ist nie schön, sondern nur die Bilder des Lebens sind es, nämlich im verklärenden Spiegel der Kunst oder der Poesie; zumal in der Jugend, als wo wir es noch nicht kennen. Mancher Jüngling würde große Beruhigung erhalten, wenn man ihm zu dieser Einsicht verhelfen könnte.
Warum wirkt der Anblick des Vollmondes so wohlthätig, beruhigend und erhebend? Weil der Mond ein Gegenstand der Anschauung, aber nie des Wollens ist:
»Die Sterne, die begehrt man nicht,
Man freut sich ihrer Pracht.« –
G.
Ferner ist er erhaben , d.h. stimmt uns erhaben, weil er, ohne alle Beziehung auf uns, dem irdischen Treiben ewig fremd, dahinzieht, und Alles sieht, aber an nichts Antheil nimmt. Bei seinem Anblick schwindet daher der Wille, mit seiner steten Noth, aus dem Bewußtseyn, und läßt es als ein rein erkennendes zurück. Vielleicht mischt sich auch noch ein Gefühl bei, daß wir diesen Anblick mit Millionen theilen, deren individuelle Verschiedenheit darin erlischt, so daß sie in diesem Anschauen Eines sind; welches ebenfalls den Eindruck des Erhabenen erhöht. Dieser wird endlich auch dadurch befördert, daß der Mond leuchtet, ohne zu wärmen; worin gewiß der Grund liegt, daß man ihn keusch genannt und mit der Diana identificirt hat.
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