Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Ende gedacht wird: dem Zerfallen des menschlichen Geschlechts und seines Bewußtseyns in eine Unzahl ephemerer Individuen hilft sie ab, und bietet so der unaufhaltsam eilenden Zeit, an deren Hand die Vergessenheit geht. Trotz. Als ein Versuch, dieses zu leisten, sind, wie die geschriebenen, so auch die steinernen Denkmale zu betrachten, welche zum Theil älter sind, als jene. Denn wer wird glauben, daß Diejenigen, welche, mit unermeßlichen Kosten, die Menschenkräfte vieler Tausende, viele Jahre hindurch, in Bewegung setzten, um Pyramiden, Monolithen, Felsengräber, Obelisken, Tempel und Paläste aufzuführen, die schon Jahrtausende dastehn, dabei nur sich selbst, die kurze Spanne ihres Lebens, welche nicht ausreichte das Ende des Baues zu sehn, oder auch den ostensibeln Zweck, welchen vorzuschützen die Rohheit der Menge heischte, im Auge gehabt haben sollten? – Offenbar war ihr wirklicher Zweck, zu den spätesten Nachkommen zu reden, in Beziehung zu diesen zu treten und so das Bewußtseyn der Menschheit zur Einheit herzustellen. Die Bauten der Hindu, Aegypter, selbst Griechen und Römer, waren auf mehrere Jahrtausende berechnet, weil deren Gesichtskreis, durch höhere Bildung, ein weiterer war; während die Bauten des Mittelalters und neuerer Zeit höchstens einige Jahrhunderte vor Augen gehabt haben; welches jedoch auch daran liegt, daß man sich mehr auf die Schrift verließ, nachdem ihr Gebrauch allgemeiner geworden, und noch mehr, seitdem aus ihrem Schooß die Buchdruckerkunst geboren worden. Doch sieht man auch den Gebäuden der spätern Zeiten den Drang an, zur Nachkommenschaft zu reden: daher ist es schändlich, wenn man sie zerstört, oder sie verunstaltet, um sie niedrigen, nützlichen Zwecken dienen zu lassen. Die geschriebenen Denkmale haben weniger von den Elementen, aber mehr von der Barbarei zu fürchten, als die steinernen: sie leisten viel mehr. Die Aegypter wollten, indem sie letztere mit Hieroglyphen bedeckten, beide Arten vereinigen; ja, sie fügten Malereien hinzu, auf den Fall, daß die Hieroglyphen nicht mehr verstanden werden sollten.
Kapitel 39.Zur Metaphysik der Musik
Aus meiner, in der unten angeführten Stelle des ersten Bandes gegebenen und dem Leser hier gegenwärtigen Darlegung der eigentlichen Bedeutung dieser wunderbaren Kunst hatte sich ergeben, daß zwischen ihren Leistungen und der Welt als Vorstellung, d.i. der Natur, zwar keine Aehnlichkeit, aber ein deutlicher Parallelismus Statt finden müsse, welcher sodann auch nachgewiesen wurde. Einige beachtenswerthe nähere Bestimmungen desselben habe ich noch hinzuzufügen. – Die vier Stimmen aller Harmonie, also Baß, Tenor, Alt und Sopran, oder Grundton, Terz, Quinte und Oktave, entsprechen den vier Abstufungen in der Reihe der Wesen, also dem Mineralreich, Pflanzenreich, Thierreich und dem Menschen. Dies erhält noch eine auffallende Bestätigung an der musikalischen Grundregel, daß der Baß in viel weiterem Abstande unter den drei obern Stimmen bleiben soll, als diese zwischen einander haben; so daß er sich denselben nie mehr, als höchstens bis auf eine Oktave nähern darf, meistens aber noch weiter darunter bleibt, wonach dann der regelrechte Dreiklang seine Stelle in der dritten Oktave vom Grundton hat. Dem entsprechend ist die Wirkung der weiten Harmonie, wo der Baß fern bleibt, viel mächtiger und schöner, als die der engen, wo er näher heraufgerückt ist, und die nur wegen des beschränkten Umfangs der Instrumente eingeführt wird. Diese ganze Regel aber ist keineswegs willkürlich, sondern hat ihre Wurzel in dem natürlichen Ursprung des Tonsystems; sofern nämlich die nächsten, mittelst der Nebenschwingungen mittönenden, harmonischen Stufen die Oktave und deren Quinte sind. In dieser Regel nun erkennen wir das musikalische Analogen der Grundbeschaffenheit der Natur, vermöge welcher die organischen Wesen unter einander viel näher verwandt sind, als mit der leblosen, unorganischen Masse des Mineralreichs, zwischen welcher und ihnen die entschiedenste Gränze und die weiteste Kluft in der ganzen Natur Statt findet. – Daß die hohe Stimme, welche die Melodie singt, doch zugleich integrirender Theil der Harmonie ist und darin selbst mit dem tiefsten Grundbaß zusammenhängt, läßt sich betrachten als das Analogon davon, daß die selbe Materie, welche in einem menschlichen Organismus Träger der Idee des Menschen ist, dabei doch zugleich auch die Ideen der Schwere und der chemischen Eigenschaften, also der
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