Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
ist. Dabei jedoch zeigt, in der Oper, die Musik ihre heterogene Natur und höhere Wesenheit durch ihre gänzliche Indifferenz gegen alles Materielle der Vorgänge; in Folge welcher sie den Sturm der Leidenschaften und das Pathos der Empfindungen überall auf gleiche Weise ausdrückt und mit dem selben Pomp ihrer Töne begleitet, mag Agamemnon und Achill, oder der Zwist einer Bürgerfamilie, das Materielle des Stückes liefern. Denn für sie sind bloß die Leidenschaften, die Willensbewegungen vorhanden, und sie sieht, wie Gott, nur die Herzen. Sie assimilirt sich nie dem Stoffe: daher auch wenn sie sogar die lächerlichsten und ausschweifendesten Possen der komischen Oper begleitet, sie doch in ihrer wesentlichen Schönheit, Reinheit und Erhabenheit bleibt, und ihre Verschmelzung mit jenen Vorgängen nicht vermag, sie von ihrer Höhe, der alles Lächerliche eigentlich fremd ist, herabzuziehn. So schwebt über dem Possenspiel und den endlosen Miseren des Menschenlebens die tiefe und ernste Bedeutung unsers Daseyns, und verläßt solches keinen Augenblick.
Werfen wir jetzt einen Blick auf die bloße Instrumentalmusik; so zeigt uns eine Beethoven'sche Symphonie die größte Verwirrung, welcher doch die vollkommenste Ordnung zum Grunde liegt, den heftigsten Kampf, der sich im nächsten Augenblick zur schönsten Eintracht gestaltet: es ist rerum concordia discors , ein treues und vollkommenes Abbild des Wesens der Welt, welche dahin rollt, im unübersehbaren Gewirre zahlloser Gestalten und durch stete Zerstörung sich selbst erhält. Zugleich nun aber sprechen aus dieser Symphonie alle menschlichen Leidenschaften und Affekte: die Freude, die Trauer, die Liebe, der Haß, der Schrecken, die Hoffnung u.s.w. in zahllosen Nüancen, jedoch alle gleichsam nur in abstracto und ohne alle Besonderung: es ist ihre bloße Form, ohne den Stoff, wie eine bloße Geisterwelt, ohne Materie. Allerdings haben wir den Hang, sie, beim Zuhören, zu realisiren, sie, in der Phantasie, mit Fleisch und Bein zu bekleiden und allerhand Scenen des Lebens und der Natur darin zu sehn. Jedoch befördert Dies, im Ganzen genommen, nicht ihr Verständniß, noch ihren Genuß, giebt ihr vielmehr einen fremdartigen, willkürlichen Zusatz: daher ist es besser, sie in ihrer Unmittelbarkeit und rein aufzufassen,
Nachdem ich nun im Bisherigen, wie auch im Texte, die Musik allein von der metaphysischen Seite, also hinsichtlich der innern Bedeutung ihrer Leistungen betrachtet habe, ist es angemessen, auch die Mittel, durch welche sie, auf unsern Geist wirkend, dieselben zu Stande bringt, einer allgemeinen Betrachtung zu unterwerfen, mithin die Verbindung jener metaphysischen Seite der Musik mit der genugsam untersuchten und bekannten physischen nachzuweisen. – Ich gehe von der allgemein bekannten und durch neuere Einwürfe keineswegs erschütterten Theorie aus, daß alle Harmonie der Töne auf der Koincidenz der Vibrationen beruht, welche, wann zwei Töne zugleich erklingen, etwan bei jeder zweiten, oder bei jeder dritten, oder bei jeder vierten Vibration eintrifft, wonach sie dann Oktave, Quinte, oder Quarte von einander sind u.s.w. So lange nämlich die Vibrationen zweier Töne ein rationales und in kleinen Zahlen ausdrückbares Verhältniß zu einander haben, lassen sie sich, durch ihre oft wiederkehrende Koincidenz, in unserer Apprehension zusammenfassen: die Töne verschmelzen mit einander und stehn dadurch im Einklang. Ist hingegen jenes Verhältniß ein irrationales, oder ein nur in größern Zahlen ausdrückbares; so tritt keine faßliche Koincidenz der Vibrationen ein, sondern obstrepunt sibi perpetuo , wodurch sie der Zusammenfassung in unserer Apprehension widerstreben und demnach eine Dissonanz heißen. Dieser Theorie nun zufolge ist die Musik ein Mittel, rationale und irrationale Zahlenverhältnisse, nicht etwan, wie die Arithmetik, durch Hülfe des Begriffs faßlich zu machen, sondern dieselben zu einer ganz unmittelbaren und simultanen sinnlichen Erkenntniß zu bringen. Die Verbindung der metaphysischen Bedeutung der Musik mit dieser ihrer physischen und arithmetischen Grundlage beruht nun darauf, daß das unserer Apprehension Widerstrebende, das Irrationale, oder die Dissonanz, zum natürlichen Bilde des unserm Willen Widerstrebenden wird; und umgekehrt wird die Konsonanz, oder das Rationale, indem sie unserer Auffassung sich leicht fügt, zum Bilde der Befriedigung des Willens . Da nun ferner jenes Rationale und Irrationale in den
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