Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
gewesen sei und dennoch für die Zukunft unvergänglich seyn solle, ist gerade so, wie ihn lehren, daß er, obwohl durch und durch das Werk eines Andern, dennoch für sein Thun und Lassen in alle Ewigkeit verantwortlich seyn solle. Wenn nämlich dann, bei gereiftem Geiste und eingetretenem Nachdenken, das Unhaltbare solcher Lehren sich ihm aufdringt; so hat er nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen, ja, ist nicht mehr fähig es zu verstehn, und geht dadurch des Trostes verlustig, den auch ihm die Natur, zum Ersatz für die Gewißheit des Todes, bestimmt hatte. In Folge solcher Entwickelung sehn wir eben jetzt (1844), in England, unter verdorbenen Fabrikarbeitern, die Socialisten, und in Deutschland, unter verdorbenen Studenten, die Junghegelianer zur absolut physischen Ansicht herabsinken, welche zu dem Resultate führt: edite, bibite, post mortem nulla voluptas , und insofern als Bestialismus bezeichnet werden kann.
Nach Allem inzwischen, was über den Tod gelehrt worden, ist nicht zu leugnen, daß, wenigstens in Europa, die Meinung der Menschen, ja oft sogar des selben Individuums, gar häufig von Neuern hin und her schwankt zwischen der Auffassung des Todes als absoluter Vernichtung und der Annahme, daß wir gleichsam mit Haut und Haar unsterblich seien. Beides ist gleich falsch: allein wir haben nicht sowohl eine richtige Mitte zu treffen, als vielmehr den höheren Gesichtspunkt zu gewinnen, von welchem aus solche Ansichten von selbst wegfallen.
Ich will, bei diesen Betrachtungen, zuvörderst vom ganz empirischen Standpunkt ausgehn. – Da liegt uns zunächst die unleugbare Thatsache vor, daß, dem natürlichen Bewußtseyn gemäß, der Mensch nicht bloß für seine Person den Tod mehr als alles Andere fürchtet, sondern auch über den der Seinigen heftig weint, und zwar offenbar nicht egoistisch über seinen eigenen Verlust, sondern aus Mitleid, über das große Unglück, das Jene betroffen; daher er auch Den, welcher in solchem Falle nicht weint und keine Betrübniß zeigt, als hartherzig und lieblos tadelt. Diesem geht parallel, daß die Rachsucht, in ihren höchsten Graden, den Tod des Gegners sucht, als das größte Uebel, das sich verhängen läßt. – Meinungen wechseln nach Zeit und Ort; aber die Stimme der Natur bleibt sich stets und überall gleich, ist daher vor Allem zu beachten. Sie scheint nun hier deutlich auszusagen, daß der Tod ein großes Uebel sei. In der Sprache der Natur bedeutet Tod Vernichtung. Und daß es mit dem Tode Ernst sei, ließe sich schon daraus abnehmen, daß es mit dem Leben, wie Jeder weiß, kein Spaaß ist. Wir müssen wohl nichts Besseres, als diese Beiden, werth seyn.
In der That ist die Todesfurcht von aller Erkenntniß unabhängig: denn das Thier hat sie, obwohl es den Tod nicht kennt. Alles, was geboren wird, bringt sie schon mit auf die Welt. Diese Todesfurcht a priori ist aber eben nur die Kehrseite des Willens zum Leben, welcher wir Alle ja sind. Daher ist jedem Thiere, wie die Sorge für seine Erhaltung, so die Furcht vor seiner Zerstörung angeboren: diese also, und nicht das bloße Vermeiden des Schmerzes, ist es, was sich in der ängstlichen Behutsamkeit zeigt, mit der das Thier sich und noch mehr seine Brut vor Jedem, der gefährlich werden könnte, sicher zu stellen sucht. Warum flieht das Thier, zittert und sucht sich zu verbergen? Weil es lauter Wille zum Leben, als solcher aber dem Tode verfallen ist und Zeit gewinnen möchte. Eben so ist, von Natur, der Mensch. Das größte der Uebel, das Schlimmste was überall gedroht werden kann, ist der Tod, die größte Angst Todesangst, Nichts reißt uns so unwiderstehlich zur lebhaftesten Theilnahme hin, wie fremde Lebensgefahr: nichts ist entsetzlicher, als eine Hinrichtung. Die hierin hervortretende gränzenlose Anhänglichkeit an das Leben kann nun aber nicht aus der Erkenntniß und Ueberlegung entsprungen seyn: vor dieser erscheint sie vielmehr thöricht; da es um den objektiven Werth des Lebens sehr mißlich steht, und wenigstens zweifelhaft bleibt, ob dasselbe dem Nichtseyn vorzuziehn sei, ja, wenn Erfahrung und Ueberlegung zum Worte kommen, das Nichtseyn wohl gewinnen muß. Klopfte man an die Gräber und fragte die Todten, ob sie wieder aufstehn wollten; sie würden mit den Köpfen schütteln. Dahin geht auch des Sokrates Meinung, in Plato's Apologie, und selbst der heitere und liebenswürdige Voltaire kann nicht umhin zu sagen: on aime la vie; mais le néant ne laisse pas d'avoir du bon : und wieder: je ne
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