Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
zurückwirft. Wie nämlich der Geschlechtstrieb die heftigste der Begierden, der Wunsch der Wünsche, die Koncentration alles unsers Wollens ist, und demnach die dem individuellen, mithin auf ein bestimmtes Individuum gerichteten Wunsche eines Jeden genau entsprechende Befriedigung desselben der Gipfel und die Krone seines Glückes, nämlich das letzte Ziel seiner natürlichen Bestrebungen ist, mit deren Erreichung ihm Alles erreicht und mit deren Verfehlung ihm Alles verfehlt scheint; – so finden wir, als physiologisches Korrelat hievon, im objektivirten Willen, also im menschlichen Organismus, das Sperma als die Sekretion der Sekretionen, die Quintessenz aller Säfte, das letzte Resultat aller organischen Funktionen, und haben hieran einen abermaligen Beleg dazu, daß der Leib nur die Objektität des Willens, d.h. der Wille selbst unter der Form der Vorstellung ist.
An die Erzeugung knüpft sich die Erhaltung der Brut und an den Geschlechtstrieb die Elternliebe; in welchen also sich das Gattungsleben fortsetzt. Demgemäß hat die Liebe des Thieres zu seiner Brut, gleich dem Geschlechtstriebe, eine Stärke, welche die der bloß auf das eigene Individuum gerichteten Bestrebungen weit übertrifft. Dies zeigt sich darin, daß selbst die sanftesten Thiere bereit sind, für ihre Brut auch den ungleichsten Kampf, auf Tod und Leben, zu übernehmen und, bei fast allen Thiergattungen, die Mutter für die Beschützung der Jungen jeder Gefahr, ja in manchen Fällen sogar dem gewissen Tode entgegengeht. Beim Menschen wird diese instinktive Elternliebe durch die Vernunft, d.h. die Ueberlegung, geleitet und vermittelt, bisweilen aber auch gehemmt, welches, bei schlechten Charakteren, bis zur völligen Verleugnung derselben gehn kann: daher können wir ihre Wirkungen am reinsten bei den Thieren beobachten. An sich selbst ist sie jedoch im Menschen nicht weniger stark: auch hier sehn wir sie, in einzelnen Fällen, die Selbstliebe gänzlich überwinden und sogar bis zur Aufopferung des eigenen Lebens gehn. So z.B. berichten noch soeben die Zeitungen aus Frankreich, daß zu Chahars , im Departement du Lot , ein Vater sich das Leben genommen hat, damit sein Sohn, den das Loos zum Kriegsdienst getroffen hatte, der älteste einer Witwe und als solcher davon befreit seyn sollte. (Galignani's Messenger vom 22. Juni 1843). Bei den Thieren jedoch, da sie keiner Ueberlegung fähig sind, zeigt die instinktive Mutterliebe (das Männchen ist sich seiner Vaterschaft meistens nicht bewußt) sich unvermittelt und unverfälscht, daher mit voller Deutlichkeit und in ihrer ganzen Stärke. Im Grunde ist sie der Ausdruck des Bewußtseyns im Thiere, daß sein wahres Wesen unmittelbarer in der Gattung, als im Individuo liegt, daher es nöthigenfalls sein Leben opfert, damit, in den Jungen, die Gattung erhalten werde. Also wird hier, wie auch im Geschlechtstriebe, der Wille zum Leben gewissermaaßen transscendent, indem sein Bewußtseyn sich über das Individuum, welchem es inhärirt, hinaus, auf die Gattung erstreckt. Um diese zweite Aeußerung des Gattungslebens nicht bloß abstrakt auszusprechen, sondern sie dem Leser in ihrer Größe und Wirklichkeit zu vergegenwärtigen, will ich von der überschwänglichen Stärke der instinktiven Mutterliebe einige Beispiele anführen.
Die Seeotter, wenn verfolgt, ergreift ihr Junges und taucht damit unter: wann sie, um zu athmen, wieder auftaucht, deckt sie dasselbe mit ihrem Leibe und empfängt, während es sich rettet, die Pfeile des Jägers. – Einen jungen Wallfisch erlegt man bloß, um die Mutter herbeizulocken, welche zu ihm eilt und ihn selten verläßt, so lange er noch lebt, wenn sie auch von mehreren Harpunen getroffen wird. (Scoresby's Tagebuch einer Reise auf den Wallfischfang; aus dem Englischen von Kries, S. 196.) – An der Drei-Königs-Insel, bei Neuseeland, leben kolossale Phoken, See-Elephanten genannt (Phoca proboscidea). In geordneter Schaar um die Insel schwimmend nähren sie sich von Fischen, haben jedoch unter dem Wasser gewisse, uns unbekannte, grausame Feinde, von denen sie oft schwer verwundet werden: daher verlangt ihr gemeinsames Schwimmen eine eigene Taktik. Die Weibchen werfen auf dem Ufer: während sie dann säugen, welches sieben bis acht Wochen dauert, schließen alle Männchen einen Kreis um sie, um zu verhindern, daß sie nicht, vom Hunger getrieben, in die See gehn, und wenn dies versucht wird, wehren sie es durch Beißen. So hungern sie alle mit einander sieben bis acht
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