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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Zweckes geleitet ist, so wenig ist es dieses bei den Kunsttrieben: auch in diesen äußert sich der Wille, in der Hauptsache, ohne die Vermittelung der Erkenntniß, als welcher, hier wie dort, nur das Detail anheimgestellt ist. Die Zeugung ist gewissermaaßen der bewunderungswürdigste der Kunsttriebe und sein Werk das erstaunlichste.
    Aus diesen Betrachtungen erklärt es sich, warum die Begierde des Geschlechts einen von jeder andern sehr verschiedenen Charakter trägt; sie ist nicht nur die stärkeste, sondern sogar specifisch von mächtigerer Art als alle andern. Sie wird überall stillschweigend vorausgesetzt, als nothwendig und unausbleiblich, und ist nicht, wie andere Wünsche, Sache des Geschmacks und der Laune. Denn sie ist der Wunsch, welcher selbst das Wesen des Menschen ausmacht. Im Konflikt mit ihr ist kein Motiv so stark, daß es des Sieges gewiß wäre. Sie ist so sehr die Hauptsache, daß für die Entbehrung ihrer Befriedigung keine andern Genüsse entschädigen: auch übernimmt Thier und Mensch ihretwegen jede Gefahr, jeden Kampf. Ein gar naiver Ausdruck dieser natürlichen Sinnesart ist die bekannte Ueberschrift der mit dem Phallus verzierten Thüre der fornix zu Pompeji: Heic habitat felicitas : diese war für den Hineingehenden naiv, für den Herauskommenden ironisch, und an sich selbst humoristisch. – Mit Ernst und Würde hingegen ist die überschwängliche Macht des Zeugungstriebes ausgedrückt in der Inschrift, welche (nach Theo von Smyrna, de musica, c. 47 ) Osiris auf einer Säule, die er den ewigen Göttern setzte, angebracht hatte: »Dem Geiste, dem Himmel, der Sonne, dem Monde, der Erde, der Nacht, dem Tage, und dem Vater alles Dessen, was ist und was seyn wird, dem Eros«; – ebenfalls in der schönen Apostrophe, mit welcher Lukretius sein Werk eröffnet:

    Aeneadum genetrix, hominum divômque voluptas
    Alma Venus etc.

    Dem allen entspricht die wichtige Rolle, welche das Geschlechtsverhältniß in der Menschenwelt spielt, als wo es eigentlich der unsichtbare Mittelpunkt alles Thuns und Treibens ist und trotz allen ihm übergeworfenen Schleiern überall hervorguckt. Es ist die Ursache des Krieges und der Zweck des Friedens, die Grundlage des Ernstes und das Ziel des Scherzes, die unerschöpfliche Quelle des Witzes, der Schlüssel zu allen Anspielungen und der Sinn aller geheimen Winke, aller unausgesprochenen Anträge und aller verstohlenen Blicke, das tägliche Dichten und Trachten der Jungen und oft auch der Alten, der stündliche Gedanke des Unkeuschen und die gegen seinen Willen stets wiederkehrende Träumerei des Keuschen, der allezeit bereite Stoff zum Scherz, eben nur weil ihm der tiefste Ernst zum Grunde liegt. Das aber ist das Pikante und der Spaaß der Welt, daß die Hauptangelegenheit aller Menschen heimlich betrieben und ostensibel möglichst ignorirt wird. In der That aber sieht man dieselbe jeden Augenblick sich als den eigentlichen und erblichen Herrn der Welt, aus eigener Machtvollkommenheit, auf den angestammten Thron setzen und von dort herab mit höhnenden Blicken der Anstalten lachen, die man getroffen hat, sie zu bändigen, einzukerkern, wenigstens einzuschränken und wo möglich ganz verdeckt zu halten, oder doch so zu bemeistern, daß sie nur als eine ganz untergeordnete Nebenangelegenheit des Lebens zum Vorschein komme. – Dies Alles aber stimmt damit überein, daß der Geschlechtstrieb der Kern des Willens zum Leben, mithin die Koncentration alles Wollens ist; daher eben ich im Texte die Genitalien den Brennpunkt des Willens genannt habe. Ja, man kann sagen, der Mensch sei konkreter Geschlechtstrieb; da seine Entstehung ein Kopulationsakt und der Wunsch seiner Wünsche ein Kopulationsakt ist, und dieser Trieb allein seine ganze Erscheinung perpetuirt und zusammenhält. Der Wille zum Leben äußert sich zwar zunächst als Streben zur Erhaltung des Individuums; jedoch ist dies nur die Stufe zum Streben nach Erhaltung der Gattung, welches letztere in dem Grade heftiger seyn muß, als das Leben der Gattung, an Dauer, Ausdehnung und Werth, das des Individuums übertrifft. Daher ist der Geschlechtstrieb die vollkommenste Aeußerung des Willens zum Leben, sein am deutlichsten ausgedrückter Typus: und hiemit ist sowohl das Entstehn der Individuen aus ihm, als sein Primat über alle andern Wünsche des natürlichen Menschen in vollkommener Uebereinstimmung.
    Hieher gehört noch eine physiologische Bemerkung, welche auf meine im zweiten Buche dargelegte Grundlehre Licht

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