Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Verschwendung, Neigung zur Wollust, oder zur Völlerei, oder zum Spiel, Hartherzigkeit, oder Güte, Redlichkeit, oder Falschheit, Stolz, oder Leutsäligkeit, Muth, oder Feigheit, Friedfertigkeit, oder Zanksucht, Versöhnlichkeit, oder Groll u.s.f. Danach stelle er die selbe Untersuchung an, an allen Denen, deren Charakter und deren Eltern ihm genau bekannt geworden sind. Wenn er aufmerksam, mit richtigem Urtheil und aufrichtig verfährt, wird die Bestätigung unsers Satzes nicht ausbleiben. So z.B. wird er den, manchen Menschen eigenen, speciellen Hang zum Lügen in zwei Brüdern gleichmäßig vorhanden finden; weil sie ihn vom Vater geerbt haben: dieserhalb ist auch die Komödie »Der Lügner und sein Sohn« psychologisch richtig. – Inzwischen sind hier zwei unvermeidliche Beschränkungen zu berücksichtigen, welche nur offenbare Ungerechtigkeit als Ausflüchte deuten könnte. Nämlich erstlich: pater semper incertus . Nur eine entschiedene körperliche Aehnlichkeit mit dem Vater beseitigt diese Beschränkung; hingegen ist eine oberflächliche hiezu nicht hinreichend: denn es giebt eine Nachwirkung früherer Befruchtung, vermöge welcher bisweilen die Kinder zweiter Ehe noch eine leichte Aehnlichkeit mit dem ersten Gatten haben, und die im Ehebruch erzeugten mit dem legitimen Vater. Noch deutlicher ist solche Nachwirkung bei Thieren beobachtet worden. Die zweite Beschränkung ist, daß im Sohn zwar der moralische Charakter des Vaters auftritt, jedoch unter der Modifikation, die er durch einen andern, oft sehr verschiedenen Intellekt (dem Erbtheil von der Mutter) erhalten hat, wodurch eine Korrektion der Beobachtung nöthig wird. Diese Modifikation kann, nach Maaßgabe jenes Unterschiedes, bedeutend oder gering seyn, jedoch nie so groß, daß nicht auch unter ihr die Grundzüge des väterlichen Charakters noch immer kenntlich genug aufträten; etwan wie ein Mensch, der sich durch eine ganz fremdartige Kleidung, Perücke und Bart entstellt hätte. Ist z.B., vermöge des Erbtheils von der Mutter, ein Mensch mit überwiegender Vernunft, also der Fähigkeit zum Nachdenken, zur Ueberlegung, ausgestattet; so werden durch diese seine vom Vater ererbten Leidenschaften theils gezügelt, theils versteckt werden und demnach nur zu methodischer und planmäßiger, oder heimlicher Aeußerung gelangen, woraus dann eine von der des Vaters, welcher etwan nur einen ganz beschränkten Kopf hatte, sehr verschiedene Erscheinung hervorgehn wird: und eben so kann der umgekehrte Fall eintreten. – Die Neigungen und Leidenschaften der Mutter hingegen finden sich in den Kindern durchaus nicht wieder, oft sogar ihr Gegentheil.
Die historischen Beispiele haben vor denen des Privatlebens den Vorzug, allgemein bekannt zu seyn; wogegen sie freilich durch die Unsicherheit und häufige Verfälschung aller Ueberlieferung, zudem auch dadurch beeinträchtigt werden, daß sie in der Regel nur das öffentliche, nicht das Privatleben und demnach nur die Staatshandlungen, nicht die feineren Aeußerungen des Charakters enthalten. Inzwischen will ich die in Rede stehende Wahrheit durch einige historische Beispiele belegen, zu denen Die, welche aus der Geschichte ein Hauptstudium gemacht haben, ohne Zweifel noch eine viel größere Anzahl eben so treffender werden hinzufügen können.
Bekanntlich brachte P. Decius Mus , mit heroischem Edelmuth, sein Leben dem Vaterlande zum Opfer, indem er, sich und die Feinde feierlich den unterirdischen Göttern weihend, mit verhülltem Haupte, in das Heer der Lateiner sprengte. Ungefähr vierzig Jahre später that sein Sohn, gleiches Namens, genau das Selbe, im Kriege gegen die Gallier (Liv., VIII, 6; X, 28). Also ein rechter Beleg zu dem Horazischen: fortes creantur fortibus et bonis ; – dessen Kehrseite Shakespeare liefert:
Cowards father cowards, and base things
sire base 60 .
Cymb ., IV, 2.
Die ältere Römische Geschichte führt uns ganze Familien vor, deren Glieder, in zahlreicher Succession, sich durch hingebende Vaterlandsliebe und Tapferkeit auszeichnen: so die gens Fabia und die gens Fabricia. – Wiederum Alexander der Große war herrsch-und eroberungssüchtig, wie sein Vater Philipp . – Sehr beachtenswerth ist der Stammbaum des Nero , welchen Suetonius (c. 4 et 5) , in moralischer Absicht, der Schilderung dieses Ungeheuers voransetzt. Es ist die gens Claudia , die er beschreibt, welche sechs Jahrhunderte hindurch in Rom geblüht und lauter thätige, aber übermüthige und grausame Männer
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