Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
abschneiden und so gesondert verdorren lassen: daher die Degradation seiner Geistes- und Leibeskräfte. – Daß auf den Dienst der Gattung, d.i. die Befruchtung, bei jedem thierischen Individuo, augenblickliche Erschöpfung und Abspannung aller Kräfte, bei den meisten Insekten sogar baldiger Tod erfolgt, weshalb Celsus sagte seminis emissio est partis animae jactura ; daß beim Menschen das Erlöschen der Zeugungskraft anzeigt, das Individuum gehe nunmehr dem Tode entgegen; daß übertriebener Gebrauch jener Kraft in jedem Alter das Leben verkürzt, Enthaltsamkeit hingegen alle Kräfte, besonders aber die Muskelkraft, erhöht, weshalb sie zur Vorbereitung der Griechischen Athleten gehörte; daß die selbe Enthaltsamkeit das Leben des Insekts sogar bis zum folgenden Frühling verlängert; – alles Dieses deutet darauf hin, daß das Leben des Individuums im Grunde nur ein von der Gattung erborgtes und daß alle Lebenskraft gleichsam durch Abdämmung gehemmte Gattungskraft ist. Dieses aber ist daraus zu erklären, daß das metaphysische Substrat des Lebens sich unmittelbar in der Gattung und erst mittelst dieser im Individuo offenbart. Demgemäß wird in Indien der Lingam mit der Yoni als das Symbol der Gattung und ihrer Unsterblichkeit verehrt und, als das Gegengewicht des Todes, gerade der diesem vorstehenden Gottheit, dem Schiwa, als Attribut beigegeben.
Aber ohne Mythos und Symbol bezeugt die Heftigkeit des Geschlechtstriebes, der rege Eifer und der tiefe Ernst, mit welchem jedes Thier, und eben so der Mensch, die Angelegenheiten desselben betreibt, daß durch die ihm dienende Funktion das Thier Dem angehört, worin eigentlich und hauptsächlich sein wahres Wesen liegt, nämlich der Gattung ; während alle andern Funktionen und Organe unmittelbar nur dem Individuo dienen, dessen Daseyn im Grunde nur ein sekundäres ist. In der Heftigkeit jenes Triebes, welcher die Koncentration des ganzen thierischen Wesens ist, drückt ferner sich das Bewußtseyn aus, daß das Individuum nicht fortdauere und daher Alles an die Erhaltung der Gattung zu setzen habe, als in welcher sein wahres Daseyn liegt.
Vergegenwärtigen wir, zur Erläuterung des Gesagten, uns jetzt ein Thier in seiner Brunst und im Akte der Zeugung. Wir sehn einen an ihm sonst nie gekannten Ernst und Eifer. Was geht dabei in ihm vor? – Weiß es, daß es sterben muß und daß durch sein gegenwärtiges Geschäft ein neues, jedoch ihm völlig ähnliches Individuum entstehn wird, um an seine Stelle zu treten? – Von dem Allen weiß es nicht, da es nicht denkt. Aber es sorgt für die Fortdauer seiner Gattung in der Zeit, so eifrig, als ob es jenes Alles wüßte. Denn es ist sich bewußt, daß es leben und daseyn will, und den höchsten Grad dieses Wollens drückt es aus durch den Akt der Zeugung: dies ist Alles, was dabei in seinem Bewußtseyn vorgeht. Auch ist dies völlig hinreichend zum Bestande der Wesen; eben weil der Wille das Radikale ist, die Erkenntniß das Adventitium. Dieserhalb eben braucht der Wille nicht durchweg von der Erkenntniß geleitet zu werden; sondern sobald er in seiner Ursprünglichkeit sich entschieden hat, wird schon von selbst dieses Wollen sich in der Welt der Vorstellung objektiviren. Wenn nun solchermaaßen jene bestimmte Thiergestalt, die wir uns gedacht haben, es ist, die das Leben und Daseyn will; so will sie nicht Leben und Daseyn überhaupt, sondern sie will es in eben dieser Gestalt. Darum ist es der Anblick seiner Gestalt im Weibchen seiner Art, der den Willen des Thieres zur Zeugung anreizt. Dieses sein Wollen, angeschaut von außen und unter der Form der Zeit, stellt sich dar als solche Thiergestalt[,] eine endlose Zeit hindurch erhalten durch die immer wiederholte Ersetzung eines Individuums durch ein anderes, also durch das Wechselspiel des Todes und der Zeugung, welche, so betrachtet, nur noch als der Pulsschlag jener durch alle Zeit beharrenden Gestalt ( idea, eidos , species ) erscheinen. Man kann sie der Attraktions- und Repulsionskraft, durch deren Antagonismus die Materie besteht, vergleichen. – – Das hier am Thiere Nachgewiesene gilt auch vom Menschen: denn wenn gleich bei diesem der Zeugungsakt von der vollständigen Erkenntniß seiner Endursache begleitet ist; so ist er doch nicht von ihr geleitet, sondern geht unmittelbar aus dem Willen zum Leben hervor, als dessen Koncentration. Er ist sonach den instinktiven Handlungen beizuzählen. Denn so wenig bei der Zeugung das Thier durch die Erkenntniß des
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