Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Wochen hindurch und werden sämmtlich sehr mager, bloß damit die Jungen nicht in See gehn, bevor sie im Stande sind, wohl zu schwimmen und die gehörige Taktik, welche ihnen dann durch Stoßen und Beißen beigebracht wird, zu beobachten. (Freycinet, Voy. aux terres australes, 1826.) Hier zeigt sich auch, wie die Elternliebe, gleich jeder starken Bestrebung des Willens (siehe Kap. 19, 6), die Intelligenz steigert. – Wilde Enten, Grasmücken und viele andere Vögel fliegen, wann der Jäger sich dem Neste nähert, mit lautem Geschrei ihm vor die Füße und flattern hin und her, als wären ihre Flügel gelähmt, um die Aufmerksamkeit von der Brut ab auf sich zu lenken. – Die Lerche sucht den Hund von ihrem Neste abzulocken, indem sie sich selbst preisgiebt. Eben so locken weibliche Hirsche und Rehe an, sie selbst zu Jagen, damit ihre Jungen nicht angegriffen werden. – Schwalben sind in brennende Häuser geflogen, um ihre Jungen zu retten, oder mit ihnen unterzugehn. In Delfft ließ sich, bei einer heftigen Feuersbrunst, ein Storch im Neste verbrennen, um seine zarten Jungen, die noch nicht fliegen konnten, nicht zu verlassen. (Hadr. Junius, Descriptio Hollandiae.) Auerhahn und Waldschnepfe lassen sich brütend auf dem Neste fangen. Muscicapa tyrannus vertheidigt ihr Nest mit besonderm Muthe und setzt sich selbst gegen Adler zur Wehr. – Eine Ameise hat man queer durchgeschnitten, und sah die vordere Hälfte noch ihre Puppen in Sicherheit bringen. – Eine Hündin, der man die Jungen aus dem Leibe geschnitten hatte, kroch sterbend zu ihnen hin, liebkoste sie und fieng erst dann heftig zu winseln an, als man sie ihr nahm. ( Burdach , Physiologie als Erfahrungswissenschaft, Bd. 2 und 3.)
Kapitel 43. Erblichkeit der Eigenschaften
Daß, bei der Zeugung, die von den Eltern zusammengebrachten Keime nicht nur die Eigenthümlichkeiten der Gattung, sondern auch die der Individuen fortpflanzen, lehrt, hinsichtlich der leiblichen (objektiven, äußern) Eigenschaften, die alltäglichste Erfahrung, auch ist es von jeher anerkannt worden:
Naturae sequitur semina quisque suae.
Catull.
Ob dies nun ebenfalls von den geistigen (subjektiven, innern) Eigenschaften gelte, so daß auch diese sich von den Eltern auf die Kinder vererbten, ist eine schon öfter aufgeworfene und fast allgemein bejahte Frage. Schwieriger aber ist das Problem, ob sich hiebei sondern lasse, was dem Vater und was der Mutter angehört, welches also das geistige Erbtheil sei, das wir von jedem der Eltern überkommen. Beleuchten wir nun dieses Problem mit unserer Grunderkenntniß, daß der Wille das Wesen an sich, der Kern, das Radikale im Menschen; der Intellekt hingegen das Sekundäre, das Adventitium, das Accidenz jener Substanz sei; so werden wir, vor Befragung der Erfahrung, es wenigstens als wahrscheinlich annehmen, daß, bei der Zeugung, der Vater, als sexus potior und zeugendes Princip, die Basis, das Radikale des neuen Lebens, also den Willen verleihe, die Mutter aber, als sexus sequior und bloß empfangendes Princip, das Sekundäre, den Intellekt ; daß also der Mensch sein Moralisches, seinen Charakter, seine Neigungen, sein Herz, vom Vater erbe, hingegen den Grad, die Beschaffenheit und Richtung seiner Intelligenz von der Mutter. Diese Annahme nun findet wirklich ihre Bestätigung in der Erfahrung; nur daß diese hier nicht durch ein physikalisches Experiment auf dem Tisch entschieden werden kann, sondern theils aus vieljähriger, sorgfältiger und feiner Beobachtung und theils aus der Geschichte hervorgeht.
Die eigene Erfahrung hat den Vorzug völliger Gewißheit und größter Specialität, wodurch der Nachtheil, der ihr daraus erwächst, daß ihre Sphäre beschränkt und ihre Beispiele nicht allbekannt sind, überwogen wird. An sie zunächst weise ich daher einen Jeden. Zuvörderst betrachte er sich selbst, gestehe sich seine Neigungen und Leidenschaften, seine Charakterfehler und Schwächen, seine Laster, wie auch seine Vorzüge und Tugenden, wenn er deren hat, ein: dann aber denke er zurück an seinen Vater, und es wird nicht fehlen, daß er jene sämmtlichen Charakterzüge auch an ihm gewahr werde. Hingegen wird er die Mutter oft von einem ganz verschiedenen Charakter finden, und eine moralische Uebereinstimmung mit dieser wird höchst selten, nämlich nur durch den besondern Zufall der Gleichheit des Charakters beider Eltern, Statt finden. Er stelle diese Prüfung an z.B. in Hinsicht auf Jähzornigkeit, oder Geduld, Geiz, oder
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