Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
wissen, daß die Diva Faustina eine uxor infamis war. Im Gegentheil, wir merken uns diesen Fall, um bei analogen einen analogen Grund zu vermuthen: z.B. daß Domitian der vollständige Bruder des Titus gewesen sei, glaube ich nimmermehr, sondern daß auch Vespasian ein betrogener Ehemann gewesen. –
Was nun den zweiten Theil des aufgestellten Grundsatzes, also die Erblichkeit des Intellekts von der Mutter, betrifft; so genießt dieser einer viel allgemeineren Anerkennung als der erste, als welchem an sich selbst das liberum arbitrium indifferentiae , seiner gesonderten Auffassung aber die Einfachheit und Untheilbarkeit der Seele entgegensteht. Schon der alte und populäre Ausdruck »Mutterwitz« bezeugt die frühe Anerkennung dieser zweiten Wahrheit, welche auf der an kleinen, wie an großen intellektuellen Vorzügen gemachten Erfahrung beruht, daß sie die Begabung Derjenigen sind, deren Mütter sich verhältnißmäßig durch ihre Intelligenz auszeichneten. Daß hingegen die intellektuellen Eigenschaften des Vaters nicht auf den Sohn übergehn, beweisen sowohl die Väter als die Söhne der durch die eminentesten Fähigkeiten ausgezeichneten Männer, indem sie, in der Regel, ganz gewöhnliche Köpfe und ohne eine Spur der väterlichen Geistesgaben sind. Wenn nun aber gegen diese vielfach bestätigte Erfahrung ein Mal eine vereinzelte Ausnahme auftritt, wie z.B. Pitt und sein Vater Lord Chatham eine darbieten; so sind wir befugt, ja genöthigt, sie dem Zufall zuzuschreiben, obgleich derselbe, wegen der ungemeinen Seltenheit großer Talente, gewiß zu den außerordentlichsten gehört. Hier gilt jedoch die Regel: es ist unwahrscheinlich, daß das Unwahrscheinliche nie geschehe. Zudem sind große Staatsmänner (wie schon Kap. 22 erwähnt) es eben so sehr durch Eigenschaften ihres Charakters, also durch das väterliche Erbtheil, wie durch die Vorzüge ihres Kopfes. Hingegen von Künstlern, Dichtern und Philosophen, deren Leistungen allein es sind, die man dem eigentlichen Genie zuschreibt, ist mir kein jenem analoger Fall bekannt. Zwar war Raphaels Vater ein Maler, aber kein großer; Mozarts Vater, wie auch sein Sohn, waren Musiker, jedoch nicht große. Wohl aber müssen wir es bewundern, daß das Schicksal, welches jenen beiden größten Männern ihrer Fächer nur eine sehr kurze Lebensdauer bestimmt hatte, gleichsam zur Kompensation, dafür sorgte, daß sie, ohne den bei andern Genies meistens eintretenden Zeltverlust in der Jugend zu erleiden, schon von Kindheit auf, durch väterliches Beispiel und Unterweisung, die nöthige Anleitung in der Kunst, zu welcher sie ausschließlich bestimmt waren, erhielten, indem es sie schon in ihrer Werkstätte geboren werden ließ. Diese geheime und räthselhafte Macht, welche das individuelle Leben zu lenken scheint, ist mir der Gegenstand besonderer Betrachtungen gewesen, welche ich in dem Aufsatze »Ueber die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen« (Parerga, Bd. I) mitgetheilt habe. – Noch ist hier zu bemerken, daß es gewisse wissenschaftliche Beschäftigungen giebt, welche zwar gute, angeborene Fähigkeiten voraussetzen, jedoch nicht die eigentlich seltenen und überschwänglichen, während eifriges Bestreben, Fleiß, Geduld, frühzeitige und gute Unterweisung, anhaltendes Studium und vielfache Uebung die Haupterfordernisse sind. Hieraus, und nicht aus der Erblichkeit des Intellekts vom Vater, ist es erklärlich, daß, da überall gern der Sohn den vom Vater gebahnten Weg betritt und fast alle Gewerbe in gewissen Familien erblich sind, auch in einigen Wissenschaften, welche vor Allem Fleiß und Beharrlichkeit erfordern, einzelne Familien eine Succession von verdienten Männern aufzuweisen haben: dahin gehören die Scaliger, die Bernoullis, die Cassinis, die Herschel.
Für die wirkliche Erblichkeit des Intellekts von der Mutter würde die Zahl der Belege viel größer seyn, als sie vorliegt, wenn nicht der Charakter und die Bestimmung des weiblichen Geschlechts es mit sich brächte, daß die Frauen von ihren Geistesfähigkeiten selten öffentliche Proben ablegen, daher solche nicht geschichtlich werden und zur Kunde der Nachwelt gelangen. Ueberdies können, wegen der durchweg schwächeren Beschaffenheit des weiblichen Geschlechts, diese Fähigkeiten selbst nie bei ihnen den Grad erreichen, bis zu welchem sie, unter günstigen Umständen, nachmals im Sohne gehn: in Hinsicht auf sie selbst aber haben wir ihre Leistungen in eben diesem Verhältniß höher
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