Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Individuen eine solche seyn kann, daß, zum Behuf möglichster Herstellung des Typus der Gattung, das eine die ganz specielle und vollkommene Ergänzung des andern ist, welches daher seiner ausschließlich begehrt. In diesem Fall tritt schon eine bedeutende Leidenschaft ein, welche eben dadurch, daß sie auf einen einzigen Gegenstand und nur auf diesen gerichtet ist, also gleichsam im speciellen Auftrag der Gattung auftritt, sogleich einen edleren und erhabeneren Anstrich gewinnt. Aus dem entgegengesetzten Grunde ist der bloße Geschlechtstrieb, weil er, ohne Individualisirung, auf Alle gerichtet ist und die Gattung bloß der Quantität nach, mit wenig Rücksicht auf die Qualität, zu erhalten strebt, gemein. Nun aber kann die Individualisirung, und mit ihr die Intensität der Verliebtheit, einen so hohen Grad erreichen, daß, ohne ihre Befriedigung, alle Güter der Welt, ja, das Leben selbst seinen Werth verliert. Sie ist alsdann ein Wunsch, welcher zu einer Heftigkeit anwächst, wie durchaus kein anderer, daher zu jedem Opfer bereit macht und, im Fall die Erfüllung unabänderlich versagt bleibt, zum Wahnsinn, oder zum Selbstmord führen kann. Die einer solchen überschwänglichen Leidenschaft zum Grunde liegenden unbewußten Rücksichten müssen, außer den oben nachgewiesenen, noch andere seyn, welche wir nicht so vor Augen haben. Wir müssen daher annehmen, daß hier nicht nur die Korporisation, sondern auch der Wille des Mannes und der Intellekt des Weibes eine specielle Angemessenheit zu einander haben, in Folge welcher von ihnen allein ein ganz bestimmtes Individuum erzeugt werden kann, dessen Existenz der Genius der Gattung hier beabsichtigt, aus Gründen, die, als im Wesen des Dinges an sich liegend, uns unzugänglich sind. Oder, eigentlich zu reden: der Wille zum Leben verlangt hier, sich in einem genau bestimmten Individuo zu objektiviren, welches nur von diesem Vater mit dieser Mutter gezeugt werden kann. Dieses metaphysische Begehr des Willens an sich hat zunächst keine andere Wirkungssphäre in der Reihe der Wesen, als die Herzen der künftigen Eltern, welche demnach von diesem Drange ergriffen werden und nun ihrer selbst wegen zu wünschen wähnen, was bloß einen für jetzt noch rein metaphysischen, d.h. außerhalb der Reihe wirklich vorhandener Dinge liegenden Zweck hat. Also der aus der Urquelle aller Wesen hervorgehende Drang des künftigen, hier erst möglich gewordenen Individuums, ins Daseyn zu treten, ist es, was sich in der Erscheinung darstellt als die hohe, Alles außer sich gering achtende Leidenschaft der künftigen Eltern für einander, in der That als ein Wahn ohne Gleichen, vermöge dessen ein solcher Verliebter alle Güter der Welt hingeben würde, für den Beischlaf mit diesem Weibe, – der ihm doch in Wahrheit nicht mehr leistet, als jeder andere. Daß es dennoch bloß hierauf abgesehn sei, geht daraus hervor, daß auch diese hohe Leidenschaft, so gut wie jede andere, im Genuß erlischt, – zur großen Verwunderung der Theilnehmer. Sie erlischt auch dann, wann, durch etwanige Unfruchtbarkeit des Weibes (welche, nach Hufeland, aus 19 zufälligen Konstitutionsfehlern entspringen kann), der eigentliche metaphysische Zweck vereitelt wird; eben so, wie er es täglich wird in Millionen zertretener Keime, in denen doch auch das selbe metaphysische Lebensprincip zum Daseyn strebt; wobei kein anderer Trost ist, als daß dem Willen zum Leben eine Unendlichkeit von Raum, Zeit, Materie und folglich unerschöpfliche Gelegenheit zur Wiederkehr offen steht.
Dem Theophrastus Paracelsus , der dieses Thema nicht behandelt hat und dem mein ganzer Gedankengang fremd ist, muß doch ein Mal die hier dargelegte Einsicht, wenn auch nur flüchtig, vorgeschwebt haben, indem er, in ganz anderm Kontext und in seiner desultorischen Manier, folgende merkwürdige Aeußerung hinschrieb: Hi sunt, quos Deus copulavit, ut eam, quae fuit Uriae et David; quamvis ex diametro (sic enim sibi humana mens persuadebat) cum justo et legitimo matrimonio pugnaret hoc. – – – sed propter Salomonem, qui aliunde nasci non potuit , nisi ex Bathsebea, conjuncto David semine, quamvis meretrice, conjunxit eos Deus (De vita longa, I, 5).
Die Sehnsucht der Liebe, der himeros , welchen in zahllosen Wendungen auszudrücken die Dichter aller Zeiten unablässig beschäftigt sind und den Gegenstand nicht erschöpfen, ja, ihm nicht genug thun können, diese Sehnsucht, welche an den Besitz eines bestimmten Weibes die Vorstellung
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