Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Papagaiengesichtern: eben so ist es rücksichtlich aller übrigen Theile. Menschen von übermäßig schlankem, lang gestreckten Körper- und Gliederbau können sogar einen über die Gebühr gedrungenen und verkürzten schön finden. – Analog walten die Rücksichten auf das Temperament: Jeder wird das entgegengesetzte vorziehn; jedoch nur in dem Maaß als das seinige ein entschiedenes ist. – Wer selbst, in irgend einer Rücksicht, sehr vollkommen ist, sucht und liebt zwar nicht die Unvollkommenheit in eben dieser Rücksicht, söhnt sich aber leichter als Andere damit aus; weil er selbst die Kinder vor großer Unvollkommenheit in diesem Stücke sichert. Z.B. wer selbst sehr weiß ist, wird sich an einer gelblichen Gesichtsfarbe nicht stoßen: wer aber diese hat, wird die blendende Weiße göttlich schön finden. – Der seltene Fall, daß ein Mann sich in ein entschieden häßliches Weib verliebt, tritt ein, wann, bei der oben erörterten genauen Harmonie des Grades der Geschlechtlichkeit, ihre sämmtlichen Abnormitäten gerade die entgegengesetzten, also das Korrektiv, der seinigen sind. Die Verliebtheit pflegt alsdann einen hohen Grad zu erreichen.
Der tiefe Ernst, mit welchem wir jeden Körpertheil des Weibes prüfend betrachten, und sie ihrerseits das Selbe thut, die kritische Skrupulosität, mit der wir ein Weib, das uns zu gefallen anfängt, mustern, der Eigensinn unserer Wahl, die gespannte Aufmerksamkeit, womit der Bräutigam die Braut beobachtet, seine Behutsamkeit, um in keinem Theile getäuscht zu werden, und der große Werth, den er auf jedes Mehr oder Weniger, in den wesentlichen Theilen, legt, – Alles dieses ist der Wichtigkeit des Zweckes ganz angemessen. Denn das Neuzuerzeugende wird, ein ganzes Leben hindurch, einen ähnlichen Theil zu tragen haben: ist z.B. das Weib nur ein wenig schief; so kann dies leicht ihrem Sohn einen Puckel aufladen, und so in allem Uebrigen. – Bewußtseyn von dem Allen ist freilich nicht vorhanden; vielmehr wähnt Jeder nur im Interesse seiner eigenen Wollust (die im Grunde gar nicht dabei betheiligt seyn kann) jene schwierige Wahl zu treffen; aber er trifft sie genau so, wie es, unter Voraussetzung seiner eigenen Korporisation, dem Interesse der Gattung gemäß ist, deren Typus möglichst rein zu erhalten die geheime Aufgabe ist. Das Individuum handelt hier, ohne es zu wissen, im Auftrage eines Höheren, der Gattung: daher die Wichtigkeit, welche es Dingen beilegt, die ihm, als solchem, gleichgültig seyn könnten, ja müßten. – Es liegt etwas ganz Eigenes in dem tiefen, unbewußten Ernst, mit welchem zwei junge Leute verschiedenen Geschlechts, die sich zum ersten Male sehn, einander betrachten; dem forschenden und durchdringenden Blick, den sie auf einander werfen; der sorgfältigen Musterung, die alle Züge und Theile ihrer beiderseitigen Personen zu erleiden haben. Dieses Forschen und Prüfen nämlich ist die Meditation des Genius der Gattung über das durch sie Beide mögliche Individuum und die Kombination seiner Eigenschaften. Nach dem Resultat derselben fällt der Grad ihres Wohlgefallens an einander und ihres Begehrens nach einander aus. Dieses kann, nachdem es schon einen bedeutenden Grad erreicht hatte, plötzlich wieder erlöschen, durch die Entdeckung von Etwas, das vorhin unbemerkt geblieben war. – Dergestalt also meditirt in Allen, die zeugungsfähig sind, der Genius der Gattung das kommende Geschlecht. Die Beschaffenheit desselben ist das große Werk, womit Kupido , unablässig thätig, spekulirend und sinnend, beschäftigt ist. Gegen die Wichtigkeit seiner großen Angelegenheit, als welche die Gattung und alle kommenden Geschlechter betrifft, sind die Angelegenheiten der Individuen, in ihrer ganzen ephemeren Gesammtheit, sehr geringfügig: daher ist er stets bereit, diese rücksichtslos zu opfern. Denn er verhält sich zu ihnen wie ein Unsterblicher zu Sterblichen, und seine Interessen zu den ihren wie unendliche zu endlichen. Im Bewußtsein also, Angelegenheiten höherer Art, als alle solche, welche nur individuelles Wohl und Wehe betreffen, zu verwalten, betreibt er dieselben, mit erhabener Ungestörtheit, mitten im Getümmel des Krieges, oder im Gewühl des Geschäftslebens, oder zwischen dem Wüthen einer Pest, und geht ihnen nach bis in die Abgeschiedenheit des Klosters.
Wir haben im Obigen gesehn, daß die Intensität der Verliebtheit mit ihrer Individualisirung wächst, indem wir nachwiesen, wie die körperliche Beschaffenheit zweier
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