Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Fall die Sache bisweilen einen komischen Anstrich gewinnt. – Jener Auftrag des in der Gattung sich objektivirenden Willens stellt, im Bewußtseyn des Verliebten, sich dar unter der Maske der Anticipation einer unendlichen Säligkeit, welche für ihn in der Vereinigung mit diesem weiblichen Individuo zu finden wäre. In den höchsten Graden der Verliebtheit wird nun diese Chimäre so strahlend, daß, wenn sie nicht erlangt werden kann, das Leben selbst allen Reiz verliert und nunmehr so freudenleer, schaal und ungenießbar erscheint, daß der Ekel davor sogar die Schrecken des Todes überwindet; daher es dann bisweilen freiwillig abgekürzt wird. Der Wille eines solchen Menschen ist in den Strudel des Willens der Gattung gerathen, oder dieser hat so sehr das Uebergewicht über den individuellen Willen erhalten, daß, wenn solcher in ersterer Eigenschaft nicht wirksam seyn kann, er verschmäht, es in letzterer zu seyn. Das Individuum ist hier ein zu schwaches Gefäß, als daß es die, auf ein bestimmtes Objekt koncentrirte, unendliche Sehnsucht des Willens der Gattung ertragen könnte. In diesem Fall ist daher der Ausgang Selbstmord, bisweilen doppelter Selbstmord beider Liebenden; es sei denn, daß die Natur, zur Rettung des Lebens, Wahnsinn eintreten ließe, welcher dann mit seinem Schleier das Bewußtseyn jenes hoffnungslosen Zustandes umhüllt. – Kein Jahr geht hin, ohne durch mehrere Fälle aller dieser Arten die Realität des Dargestellten zu belegen.
Aber nicht allein hat die unbefriedigte verliebte Leidenschaft bisweilen einen tragischen Ausgang, sondern auch die befriedigte führt öfter zum Unglück, als zum Glück. Denn ihre Anforderungen kollidiren oft so sehr mit der persönlichen Wohlfahrt des Betheiligten, daß sie solche untergraben, indem sie mit seinen übrigen Verhältnissen unvereinbar sind und den darauf gebauten Lebensplan zerstören. Ja, nicht allein mit den äußern Verhältnissen ist die Liebe oft im Widerspruch, sondern sogar mit der eigenen Individualität, indem sie sich auf Personen wirft, welche, abgesehn vom Geschlechtsverhältniß, dem Liebenden verhaßt, verächtlich, ja zum Abscheu seyn würden. Aber so sehr viel mächtiger ist der Wille der Gattung als der des Individuums, daß der Liebende über alle jene ihm widerlichen Eigenschaften die Augen schließt. Alles übersieht, Alles verkennt und sich mit dem Gegenstande seiner Leidenschaft auf immer verbindet: so gänzlich verblendet ihn jener Wahn, welcher, sobald der Wille der Gattung erfüllt ist, verschwindet und eine verhaßte Lebensgefährtin übrig läßt. Nur hieraus ist es erklärlich, daß wir oft sehr vernünftige, ja ausgezeichnete Männer mit Drachen und Eheteufeln verbunden sehn, und nicht begreifen, wie sie eine solche Wahl haben treffen können. Dieserhalb stellten die Alten den Amor blind dar. Ja, ein Verliebter kann sogar die unerträglichen Temperaments- und Charakterfehler seiner Braut, welche ihm ein gequältes Leben verheißen, deutlich erkennen und bitter empfinden, und doch nicht abgeschreckt werden:
I ask not, I care not,
If guilt's in thy heart;
I know that I love thee,
Whatever thou art 67 .
Denn im Grunde sucht er nicht seine Sache, sondern die eines Dritten, der erst entstehn soll; wiewohl ihn der Wahn umfängt, als wäre was er sucht seine Sache. Aber gerade dieses Nicht seine -Sache-suchen, welches überall der Stämpel der Größe ist, giebt auch der leidenschaftlichen Liebe den Anstrich des Erhabenen und macht sie zum würdigen Gegenstande der Dichtung. – Endlich verträgt sich die Geschlechtsliebe sogar mit dem äußersten Haß gegen ihren Gegenstand; daher schon Plato sie der Liebe der Wölfe zu den Schaafen verglichen hat. Dieser Fall tritt nämlich ein, wann ein leidenschaftlich Liebender, trotz allem Bemühen und Flehen, unter keiner Bedingung Erhörung finden kann:
I love und hate her 68 .
Shakespeare, Cymb., III, 5.
Der Haß gegen die Geliebte, welcher sich dann entzündet, geht bisweilen so weit, daß er sie ermordet und darauf sich selbst. Ein Paar Beispiele dieser Art pflegen sich jährlich zu ereignen: man wird sie in den Englischen und Französischen Zeitungen finden. Ganz richtig ist daher der Goethe'sche Vers:
Bei aller verschmähten Liebe! beim höllischen Elemente!
Ich wollt', ich wüßt' was ärger's, daß ich's fluchen könnte!
Es ist wirklich keine Hyperbel, wenn ein Liebender die Kälte der Geliebten und die Freude ihrer Eitelkeit, die sich an seinem Leiden
Weitere Kostenlose Bücher