Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
einer unendlichen Säligkeit knüpft und einen unaussprechlichen Schmerz an den Gedanken, daß er nicht zu erlangen sei, – diese Sehnsucht und dieser Schmerz der Liebe können nicht ihren Stoff entnehmen aus den Bedürfnissen eines ephemeren Individuums; sondern sie sind der Seufzer des Geistes der Gattung, welcher hier ein unersetzliches Mittel zu seinen Zwecken zu gewinnen, oder zu verlieren sieht und daher tief aufstöhnt. Die Gattung allein hat unendliches Leben und ist daher unendlicher Wünsche, unendlicher Befriedigung und unendlicher Schmerzen fähig. Diese aber sind hier in der engen Brust eines Sterblichen eingekerkert: kein Wunder daher, wenn eine solche bersten zu wollen scheint und keinen Ausdruck finden kann für die sie erfüllende Ahndung unendlicher Wonne oder unendlichen Wehes. Dies also giebt den Stoff zu aller erotischen Poesie erhabener Gattung, die sich demgemäß in transscendente, alles Irdische überfliegende Metaphern versteigt. Dies ist das Thema des Petrarka , der Stoff zu den St. Preuxs, Werthern und Jacopo Ortis, die außerdem nicht zu verstehn, noch zu erklären seyn würden. Denn auf etwanigen geistigen, überhaupt auf objektiven, realen Vorzügen der Geliebten kann jene unendliche Werthschätzung derselben nicht beruhen; schon weil sie dazu dem Liebenden oft nicht genau genug bekannt ist; wie dies Petrarka's Fall war. Der Geist der Gattung allein vermag mit Einem Blicke zu sehn, welchen Werth sie für ihn , zu seinen Zwecken hat. Auch entstehn die großen Leidenschaften in der Regel beim ersten Anblick:
Who ever lov'd, that lov'd not at first sight? 65
Shakespeare, As you like it, III, 5.
Merkwürdig ist in dieser Hinsicht eine Stelle in dem seit 250 Jahren berühmten Roman Guzman de Alfarache , von Mateo Aleman: No es necessario, para que uno ame, que pase distancia de tiempo, que siga discurso, ni haga eleccion, sino que con aquella primera y sola vista, concurran juntamente cierta correspondencia ó consonancia, ó lo que acá solemos vulgarmente decir, una confrontacion de sangre , à que por particular influxo suelen mover las estrellas. (Damit Einer liebe, ist es nicht nöthig, daß viel Zeit verstreiche, daß er Ueberlegung anstelle und eine Wahl treffe; sondern nur, daß bei jenem ersten und alleinigen Anblick eine gewisse Angemessenheit und Uebereinstimmung gegenseitig zusammentreffe, oder Das, was wir hier im gemeinen Leben eine Sympathie des Blutes zu nennen pflegen, und wozu ein besonderer Einfluß der Gestirne anzutreiben pflegt.) P. II, L. III , c. 5. Demgemäß ist auch der Verlust der Geliebten, durch einen Nebenbuhler, oder durch den Tod, für den leidenschaftlich Liebenden ein Schmerz, der jeden andern übersteigt; eben weil er transscendenter Art ist, indem er ihn nicht bloß als Individuum trifft, sondern ihn in seiner essentia aeterna , im Leben der Gattung angreift, in deren speciellem Willen und Auftrage er hier berufen war. Daher ist Eifersucht so quaalvoll und so grimmig, und ist die Abtretung der Geliebten das größte aller Opfer. – Ein Held schämt sich aller Klagen, nur nicht der Liebesklagen; weil in diesen nicht er, sondern die Gattung winselt. – In der »großen Zenobia« des Calderon ist im zweiten Akt eine Scene zwischen der Zenobia und dem Decius, wo dieser sagt:
Cielos, luego tu me quieres?
Perdiera cien mil victorias,
Volviérame, etc. 66
Hier wird die Ehre, welche bisher jedes Interesse überwog, aus dem Felde geschlagen, sobald die Geschlechtsliebe, d.i. das Interesse der Gattung, ins Spiel kommt und einen entschiedenen Vortheil vor sich sieht: denn dieses ist gegen jedes, auch noch so wichtige Interesse bloßer Individuen unendlich überwiegend. Ihm allein weichen daher Ehre, Pflicht und Treue, nachdem sie jeder andern Versuchung, selbst der Drohung des Todes, widerstanden haben. – Eben so finden wir im Privatleben, daß in keinem Punkte Gewissenhaftigkeit so selten ist, wie in diesem: sie wird hier bisweilen sogar von sonst redlichen und gerechten Leuten bei Seite gesetzt, und der Ehebruch rücksichtslos begangen, wann die leidenschaftliche Liebe, d.h. das Interesse der Gattung, sich ihrer bemächtigt hat. Es scheint sogar, als ob sie dabei einer höheren Berechtigung sich bewußt zu seyn glaubten, als die Interessen der Individuen je verleihen können; eben weil sie im Interesse der Gattung handeln. Merkwürdig ist in dieser Hinsicht Chamfort's Aeußerung: Quand un homme et une femme ont l'un pour l'autre une passion
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