Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
überhaupt, seinem Wesen nach, in wenige abstrakte Begriffe zusammengefaßt, dem Wissen zu überliefern. Durch jene Begriffe, in welchen sie das Wesen der Welt fixirt, muß jedoch, wie das Allgemeine, auch das ganz Einzelne erkannt werden, die Erkenntniß Beider also auf das Genaueste verbunden seyn: daher die Fähigkeit zur Philosophie eben darin besteht, worein Plato sie setzte, im Erkennen des Einen im Vielen und des Vielen im Einen. Die Philosophie wird demnach eine Summe sehr allgemeiner Urtheile seyn, deren Erkenntnißgrund unmittelbar die Welt selbst in ihrer Gesammtheit ist, ohne irgend etwas auszuschließen: also Alles, was im menschlichen Bewußtseyn sich vorfindet: sie wird seyn eine vollständige Wiederholung, gleichsam Abspiegelung der Welt in abstrakten Begriffen , welche allein möglich ist durch Vereinigung des wesentlich Identischen in einen Begriff und Aussonderung des Verschiedenen zu einem andern. Diese Aufgabe setzte schon Bako von Verulam der Philosophie, indem er sagte: ea demum vera est philosophia, quae mundi ipsius voces fidelissime reddit, ed veluti dictante mundo conscripta est, et nihil aliud est, quam ejusdem simulacrum et reflectio, neque addit quidquam de proprio, sed tantum iterat et resonat . (de augm. scient., L. 2, c. 13) . Wir nehmen jedoch dieses in einem ausgedehnteren Sinn, als Bako damals denken konnte.
Die Uebereinstimmung, welche alle Seiten und Theile der Welt, eben weil sie zu einem Ganzen gehören, mit einander haben, muß auch in jenem abstrakten Abbilde der Welt sich wiederfinden. Demnach könnte in jener Summe von Urtheilen das eine aus dem andern gewissermaaßen abgeleitet werden und zwar immer wechselseitig. Doch müssen sie hiezu für's Erste daseyn und also zuvor, als unmittelbar durch die Erkenntniß der Welt in concreto begründet, aufgestellt werden, um so mehr, als alle unmittelbare Begründung sicherer ist, als die mittelbare: ihre Harmonie zu einander, vermöge welcher sie sogar zur Einheit eines Gedankens zusammenfließen, und welche entspringt aus der Harmonie und Einheit der anschaulichen Welt selbst, die ihr gemeinsamer Erkenntnißgrund ist, wird daher nicht als das Erste zu ihrer Begründung gebraucht werden; sondern nur noch als Bekräftigung ihrer Wahrheit hinzukommen. – Diese Aufgabe selbst kann erst durch ihre Auflösung vollkommen deutlich werden 27 .
§ 16
Nach dieser ganzen Betrachtung der Vernunft, als einer dem Menschen allein eigenen, besonderen Erkenntnißkraft, und der durch sie herbeigeführten, der menschlichen Natur eigenthümlichen Leistungen und Phänomene, bliebe mir jetzt noch übrig von der Vernunft zu reden, sofern sie die Handlungen der Menschen leitet, also in dieser Rücksicht praktisch genannt werden kann. Allein das hier zu Erwähnende hat größtentheils seine Stelle an einem andern Orte gefunden, nämlich im Anhang zu dieser Schrift, wo das Daseyn der von Kant so genannten praktischen Vernunft zu bestreiten war, welche er (freilich sehr bequem) als unmittelbare Quelle aller Tugend und als den Sitz eines absoluten (d.h. vom Himmel gefallenen) Soll darstellt. Die ausführliche und gründliche Widerlegung dieses Kantischen Princips der Moral habe ich später geliefert, in den »Grundproblemen der Ethik«. – Ich habe deshalb hier nur noch Weniges über den wirklichen Einfluß der Vernunft, im wahren Sinne dieses Worts, auf das Handeln zu sagen. Schon am Eingang unserer Betrachtung der Vernunft haben wir im Allgemeinen bemerkt, wie sehr das Thun und der Wandel des Menschen von dem des Thieres sich unterscheidet, und daß dieser Unterschied doch allein als Folge der Anwesenheit abstrakter Begriffe im Bewußtseyn anzusehn ist. Der Einfluß dieser auf unser ganzes Daseyn ist so durchgreifend und bedeutend, daß er uns zu den Thieren gewissermaaßen in das Verhältniß setzt, welches die sehenden Thiere zu den augenlosen (gewisse Larven, Würmer und Zoophyten) haben: letztere erkennen durch das Getast allein das ihnen im Raum unmittelbar Gegenwärtige, sie Berührende; die Sehenden dagegen einen weiten Kreis von Nahem und Fernem. Eben so nun beschränkt die Abwesenheit der Vernunft die Thiere auf die ihnen in der Zeit unmittelbar gegenwärtigen anschaulichen Vorstellungen, d.i. realen Objekte: wir hingegen, vermöge der Erkenntniß in abstracto , umfassen, neben der engen wirklichen Gegenwart, noch die ganze Vergangenheit und Zukunft, nebst dem weiten Reiche der Möglichkeit: wir übersehn das Leben frei nach allen Seiten, weit
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