Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Dieses Letztere muß hier nun ganz unverstanden stehn bleiben, da es erst durch das folgende Buch, in welchem wir auch diese Betrachtung der möglichen Leistungen der Wissenschaften wieder aufnehmen werden, verständlich werden kann. Aber da, wo die Naturwissenschaft, ja jede Wissenschaft, die Dinge stehn läßt, indem nicht nur ihre Erklärung derselben, sondern sogar das Princip dieser Erklärung, der Satz vom Grund, nicht über diesen Punkt hinausführt; da nimmt eigentlich die Philosophie die Dinge wieder auf und betrachtet sie nach ihrer, von jener ganz verschiedenen Weise. – In der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 51, habe ich gezeigt, wie, in den verschiedenen Wissenschaften, die eine oder die andere Gestaltung jenes Satzes Hauptleitfaden ist: in der That möchte hienach sich vielleicht die treffendeste Eintheilung der Wissenschaften machen lassen. Jede nach jenem Leitfaden gegebene Erklärung ist aber, wie gesagt, immer nur relativ: sie erklärt die Dinge in Beziehung auf einander, läßt aber immer Etwas unerklärt, welches sie eben schon voraussetzt: Dieses ist z.B. in der Mathematik Raum und Zeit; in der Mechanik, Physik und Chemie die Materie, die Qualitäten, die ursprünglichen Kräfte, die Naturgesetze; in der Botanik und Zoologie die Verschiedenheit der Species und das Leben selbst; in der Geschichte das Menschengeschlecht, mit allen seinen Eigenthümlichkeiten des Denkens und Wollens; – in allen der Satz vom Grund in seiner jedesmal anzuwendenden Gestaltung, – Die Philosophie hat das Eigene, daß sie gar nichts als bekannt voraussetzt, sondern Alles ihr in gleichem Maaße fremd und ein Problem ist, nicht nur die Verhältnisse der Erscheinungen, sondern auch diese selbst, ja der Satz vom Grunde selbst, auf welchen Alles zurückzuführen die andern Wissenschaften zufrieden sind, durch welche Zurückführung bei ihr aber nichts gewonnen wäre, da ein Glied der Reihe ihr so fremd ist, wie das andere, ferner auch jene Art des Zusammenhangs selbst ihr eben so gut ein Problem ist, als das durch ihn Verknüpfte, und dieses wieder nach aufgezeigter Verknüpfung, so gut als vor derselben. Denn, wie gesagt, eben Jenes, was die Wissenschaften voraussetzen und ihren Erklärungen zum Grunde legen und zur Gränze setzen, ist gerade das eigentliche Problem der Philosophie, die folglich insofern da anfängt, wo die Wissenschaften aufhören. Beweise können nicht ihr Fundament seyn: denn diese leiten aus bekannten Sätzen unbekannte ab; aber ihr ist Alles gleich unbekannt und fremd. Es kann keinen Satz geben, in Folge dessen allererst die Welt mit allen ihren Erscheinungen dawäre: daher läßt sich nicht eine Philosophie, wie Spinoza wollte, ex firmis principiis demonstrirend ableiten. Auch ist die Philosophie das allgemeinste Wissen, dessen Hauptsätze also nicht Folgerungen aus einem andern, noch allgemeineren, seyn können. Der Satz vom Widerspruch setzt bloß die Uebereinstimmung der Begriffe fest; giebt aber nicht selbst Begriffe. Der Satz vom Grund erklärt Verbindungen der Erscheinungen, nicht diese selbst: daher kann Philosophie nicht darauf ausgehn, eine causa efficiens oder eine causa finalis der ganzen Welt zu suchen. Die gegenwärtige wenigstens sucht keineswegs, woher oder wozu die Welt dasei; sondern bloß, was die Welt ist. Das Warum aber ist hier dem Was untergeordnet: denn es gehört schon zur Welt, da es allein durch die Form ihrer Erscheinung, den Satz vom Grund, entsteht und nur insofern Bedeutung und Gültigkeit hat. Zwar könnte man sagen, daß was die Welt sei, ein Jeder ohne weitere Hülfe erkenne; da er das Subjekt des Erkennens, dessen Vorstellung sie ist, selbst ist: auch wäre dies insoweit wahr. Allein jene Erkenntniß ist eine anschauliche, ist in concreto: dieselbe in abstracto wiederzugeben, das successive, wandelbare Anschauen und überhaupt alles Das, was der weite Begriff Gefühl umfaßt und bloß negativ, als nicht abstraktes, deutliches Wissen bezeichnet, eben zu einem solchen, zu einem bleibenden Wissen zu erheben, ist die Aufgabe der Philosophie. Sie muß demnach eine Aussage in abstracto vom Wesen der gesammten Welt seyn, vom Ganzen wie von allen Theilen. Um aber dennoch nicht in eine endlose Menge von einzelnen Urtheilen sich zu verlieren, muß sie sich der Abstraktion bedienen und alles Einzelne im Allgemeinen denken, seine Verschiedenheiten aber auch wieder im Allgemeinen: daher wird sie theils trennen, theils vereinigen, um alles Mannigfaltige der Welt
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