Die Welt auf dem Kopf
erzählte sie weiter, ein ganz netter Kerl zu sein. Er hatte aus Paris macarons fondants mitgebracht, und sie hatten den ganzen Abend lang davon geschwärmt, wie schön Paris sei! Aber eine Sache gehe gar nicht, und zwar etwas sehr Schwerwiegendes, meinte sie dann.
Ihr Mann hatte sich, nachdem er sie hereingelassen hatte, ins Nebenzimmer begeben, um Geige zu spielen.
»Ah, Stéphane Grappelli! ›I like New York in June‹! Gefällt es Ihnen?«, fragte Mrs. Johnson Anna.
»Es geht so. Mit Jazz hab ich es nicht so.«
»Sie müssen sich erst daran gewöhnen. Aber dann werden Sie Jazz mehr lieben als jede andere Musik.«
»Also, der Freund von unserem Sohn«, fuhr Mrs. Johnson fort, indem sie sich zu Mr. Johnson umdrehte, der gerade wieder ins Zimmer gekommen war, »ist kein normaler Homosexueller.«
»Wie meinst du das?«, fragte Johnson senior.
»Er ist Palästinenser.«
»Na und?«
»Könnte es da nicht sein, dass er nur vorgibt, unseren Sohn zu lieben, ihn in Wahrheit aber am liebsten in die Luft sprengen würde, wenn man bedenkt, dass deine Mutter Jüdin war und du somit auch Jude bist?«
Johnson senior bekam sich vor Lachen nicht mehr ein. Noch nie hatte Anna ihn so herzlich lachen sehen.
»Was gibt es da zu lachen?«, platzte seine Frau heraus. »Sogar unser armer Giovannino, der Christ ist und noch ein Kind, begrüßt Omar mit ›Inschallah‹ und nicht mit ›So Gott will‹, und sein Vater hat ihm gesagt, dass es das Gleiche bedeutet. Dabei stimmt das gar nicht. Der eine Gott hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.«
»Aber sicher, es ist immer derselbe Gott, ob nun deiner, meiner oder der von Omar.«
»Du und dein Sohn, ihr schert alles über einen Kamm. Sogar den lieben Gott.«
»Ich wusste gar nicht, dass dir so viel an Religion liegt. Du hast dich doch nie daran gestört, dass ich jüdisch bin.«
»Nun, die Juden, das ist etwas ganz anderes. Niemand hat etwas dagegen, wenn jemand Jude ist.«
»Genau. Jetzt hat niemand mehr etwas dagegen.«
»Was willst du damit sagen, dass ich dich zu Zeiten deiner Mutter denunziert hätte?«
Drei
N atascha fragte sich, was Johnson senior an einer Frau wie ihrer Mutter fand, dass er auf sämtliche Annehmlichkeiten seiner Ehe verzichtete, und was ihre Mutter an Johson senior fand, dass sie die Ästhetik des einzigen schönen Zimmers ihrer ansonsten hässlichen Wohnung ruinierte, indem sie ihr Bett aus dem Zimmer, wo sie bislang mit Natascha geschlafen hatte, dorthin hatte bringen lassen.
Das Gleiche hatte ich mich auch schon gefragt und dieselbe Frage Johnson junior gestellt, der sogleich eine Antwort wusste.
»Stell dir vor, ein Bewohner von einem anderen Planeten kommt hierher«, erwiderte er, »der von der Erde nichts weiß, und der erste Erdbewohner, dem er begegnet, ist Annina. Siehst du, ich bin mir sicher, der Alien würde beschließen, sich für immer hier niederzulassen, weil er dächte:›Wenn alle wie Anna sind, dann ist dies genau der Ort, an dem zu leben es sich lohnt.‹ Meine Mutter und ich haben schon immer vermutet, dass Papa von einem anderen Stern stammt und sich lange nicht wohl auf der Erde fühlte, bis er schließlich Anna begegnet ist.«
»Schade nur, dass er sie so spät kennengelernt hat«, sagte ich bedauernd.
»Wer weiß, vielleicht hat man auf ihrem Stern eine andere Zeitrechnung.«
Ich schlug Natascha vor, sie solle ihre Sachen zusammenpacken und zu mir ziehen. Sie freute sich sehr über mein Angebot und nahm es an. Nur eines bedauerte sie, nämlich dass sie ihren Verlobten, der mich ja nicht sehen durfte, nie in meine Wohnung heraufbitten konnte.
Anhand der Dinge, die Natascha mitbrachte, konnte ich ermessen, wie arm sie war und wie sehr sie jeden Cent umdrehen musste. Auf die Laufmaschen in ihren Strümpfen gab sie Seife oder Nagellack oder zog sie einfach immer ein bisschen weiter herunter und stopfte sie in die Schuhe. Und bei den Kosmetikartikeln in ihrem geblümten Beauty Case musste es sich um eine Art Putzmittel handeln, denn wie konnte es sein, dass ein halber Liter Schaumbad nur zwei Euro kostete?
Seit Natascha bei mir wohnte, kam meine Tante mich öfter besuchen. Bestimmt war sie eifersüchtig, weil ich mich so prächtig mit meinen Nachbarn verstand. Sie beklagte sich, dass ich sie, obwohl sie doch seit dem Unglück meinVormund war, gar nicht mehr anrief, geschweige denn bei ihr vorbeischaute, wenn ich meine Mutter besuchte. Sie sagte, dass sie, wenn sie nicht ab und zu unangemeldet zu mir käme,
Weitere Kostenlose Bücher