Die Welt auf dem Kopf
vergeblich auf eine Einladung von mir warten würde. Außerdem würde ich nicht gerade erfreut wirken, sie zu sehen. Wahrscheinlich könne ich es nicht erwarten, wieder allein in Gesellschaft dieser sonderbaren Leute zu sein, die ich offensichtlich als meine neue Familie betrachtete und wo man nicht wisse, wer Vater, Mutter, Kind und Ehefrau sei. Unu misciamoroddu . Ein einziges Durcheinander. Su mundu a fundu in susu . Eine Welt, in der es drunter und drüber gehe.
Als ich Johnson junior davon erzählte, meinte er, meine Tante sei ein göttliches Wesen, o ja, und zwar sei sie der Mensch gewordene Geist der Hirnverbrannten. Also nicht nur eine einfache Hirnverbrannte, sondern die Inkarnation der Hirnverbranntheit an sich. Und angesichts eines solchen Wunders müssten wir eigentlich vor Ehrfurcht erstarren und zu ihrem Haus pilgern und versuchen, eine Reliquie von ihr zu ergattern oder etwas in der Art.
Eines Tages kam meine Tante mit einer ziemlich wichtigen Miene zu mir, als hätte sie mir etwas Dringendes zu sagen.
»Dass du in Cagliari wohnst, ist ein Luxus«, sagte sie. »Von unserem Dorf ist man mit dem Bus in einer halben Stunde in der Stadt. Außerdem gehört diese Wohnung nicht dir allein, sondern auch mir, meinen Kindern und meinemMann. Dass du während deines ersten Studienjahrs hier wohnen konntest, hast du deinem Unglück zu verdanken. Wir haben ein Auge zugedrückt. Aber so kann es nicht weitergehen.«
»Natascha bewohnt nur ein Zimmer. Wenn meine Cousins nächstes Jahr ihr Studium beginnen, können sie auch hier wohnen. Es ist doch für alle Platz!«, sagte ich und musste an mich halten, um nicht laut zu werden.
»Nein. Unsere Kinder denken nicht daran, nach Cagliari zu ziehen. Dazu besteht auch gar kein Grund angesichts einer halben Stunde Busfahrt! Und du hast auch keinen Grund, hier zu wohnen. Da fände ich es doch wesentlich sinnvoller, die Wohnung zu verkaufen und jedem seinen Anteil auszubezahlen. Auch du wirst deinen Teil bekommen.«
»Aber diese Wohnung hat immer leer gestanden! Nachdem wir Kinder groß waren, sind wir nicht einmal mehr in den Ferien hergekommen. Nur hin und wieder, wenn wir etwas in der Stadt zu erledigen hatten, haben wir uns für einen halben Tag hier aufgehalten. Wir könnten doch Zimmer an Studenten vermieten! Ich behalte meines, und die anderen vermietet ihr, Natascha wird bestimmt auch ein bisschen was bezahlen. Und um die Studenten kümmere ich mich.«
»Nein. Die Studenten lassen die Wohnungen herunterkommen, und hinterher gibt man mehr aus, um den Schaden wiedergutzumachen, als was man an Miete eingenommen hat. Besser, wir verkaufen und teilen den Erlös auf. Du wirst deinen Teil bekommen, keine Sorge. Wenn du dir unbedingtden Luxus leisten und in der Stadt wohnen bleiben willst, kannst du dir ja von dem Geld, das dir zusteht, für die nächsten Jahre ein Zimmer in der Stadt mieten.«
Anna erzählte ich nicht, dass ich bald wegziehen würde. Sie hing so an mir, und ich fürchtete, dass sie vor der Operation noch einen Herzanfall bekommen könnte.
Auch Natascha und Johnson junior erzählte ich nichts. Ihm aus drei Gründen nicht: Erstens wäre ich in Tränen ausgebrochen, worauf er wütend geworden wäre und mich geschimpft hätte, ich solle nicht so theatralisch sein, schließlich müsse ich nicht auf einem Flüchtlingsboot meine Heimat verlassen. Zweitens wäre er hinter meinem Rücken wutschnaubend zu meiner Tante gelaufen, und ich will mir lieber nicht ausmalen, was er zu ihr gesagt oder getan hätte; womöglich hätte er sie verprügelt, so wie er am liebsten mit meiner Lehrerin, meinen Eltern, Großeltern und allen verfahren wäre, die nicht gut zu mir waren. Drittens war er kurz davor, mit Giovannino und Omar in Urlaub zu fahren, und ich wollte ihm die Reise nicht verderben.
Daher sagte ich es nur Mrs. Johnson, die mir ruhig und zunächst kommentarlos zuhörte, aber als ich geendet hatte, mir eine Unmenge Fragen stellte.
»Aber hatten deine Großeltern die Wohnung nicht für dich gekauft? Was ich sagen will: Auf wen ist sie eingetragen?
»Auf mich und meine Tante, das heißt also auf alle.«
»Einen Moment, meine Kleine, die Wohnung gehört zurHälfte dir, vermutlich von dem Zeitpunkt deiner Volljährigkeit an, und zur Hälfte deiner Tante. Deren Familie, das heißt deine Cousins und dein Onkel und so weiter, kommt erst mit dem Tod deiner Tante ins Spiel.«
»Ich bitte Sie, Mrs. Johnson, lassen Sie uns nicht über den Tod reden.«
»Gut, dann reden
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