Die Welt auf dem Kopf
Happy End über dich schreiben.«
»Hast du nicht immer nur Gedichte verfasst?«
»Ja, aber inzwischen bin ich zur Prosa übergegangen. Und in meinem Roman wirst du dich rächen, und Johnson senior wird seine Frau verlassen und auf seine Wohnung und alle Annehmlichkeiten des Lebens verzichten, nur um mit dir zusammen zu sein. Er wird völlig überraschend hier auftauchen, mit nichts als einem Koffer und der Geige, und zu dir sagen, dass er dich liebt und dass die Liebe mehr zählt als alles andere. Und ihr werdet bis ans Ende eurer Tage glücklich zusammen sein.«
»Ach, was für ein Schatz du bist! Und was für ein großartigerRoman das werden wird. Aber damit ich mich wirklich rächen kann, müsstest du eine Geschichte schreiben, die nicht wahr ist, es jedoch sein könnte.«
»Sicher: ein bisschen Wirklichkeit und ein bisschen Fantasie, von beidem etwas. Aber ist so nicht auch das Leben? Was täten wir ohne Fantasie? Und auf der anderen Seite: Wie könnten wir uns aus dem Nichts etwas ausdenken?«
»Wie schlau du bist! Nur beeil dich bitte mit dem Schreiben, damit ich deinen wunderschönen Roman noch lesen kann. Sicher, die Menschen haben die Romane erfunden, so wie sie sich vielleicht auch den lieben Gott erfunden haben, aber es sind zwei wunderschöne Erfindungen, findest du nicht auch?«
Zweiter Teil
Das Ende des Romans
Eins
N atascha wusste nicht mehr, wie sie ihre Mutter trösten sollte. Aber nicht nur wie, sondern auch weswegen trösten?, fragte sie sich. Weil sie nicht mehr in der oberen Wohnung sein konnte? Wenn es nur darum ginge, würde sie sich bestimmt bald selbst darüber hinwegtrösten, nur um sich abermals in eine missliche Lage zu bringen. Aber diesmal war sie krank, und Natascha fürchtete, dass ihrer Mutter nicht mehr genügend Zeit blieb, um erneut in eine missliche Lage zu geraten. Bei diesen Worten brach Natascha in Tränen aus.
Wenn Johnson senior schüchtern und unsicher an der Tür klingelte, machten sie nicht auf, und wenn er nicht lockerließ, sagte Natascha durch die Tür zu ihm: »Gehen Sie! Und kommen Sie nicht wieder. Lassen Sie uns bitte in Ruhe!«
Eines Tages saß ich an Annas Bett, als es wieder einmal an der Tür klingelte. Dem Klingeln nach konnte es nur Giovannino sein, und Anna erlaubte mir aufzumachen. Es war tatsächlich Giovannino, aber er war nicht allein, sondern sein Großvater stand hinter ihm. Der Junge rannte auf der Stelle wieder nach oben, und ich führte Johnson senior in Annas Zimmer und flüsterte ihr rasch zu: »Reg dich nicht auf, bleib ganz ruhig.« Ich lud Mr. Johnson ein, sich zu setzen, aber er murmelte etwas Unverständliches, dem Sinn nach wahrscheinlich: »Nein, lass nur, ich bleibe stehen«, und verharrte auf der Türschwelle. Weder sie noch er sprach ein Wort, beide waren blass und sahen unglücklich aus. Als ich zu Anna ging, um ihre Kissen zurechtzurücken, stürzte er herbei, um mir zu helfen, auch wenn es gar nichts zu helfen gab. Um das bedrückende Schweigen, das im Raum lastete, zu unterbrechen, sagte ich schließlich: »Wie geht es Ihnen? Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen.«
»Gut, danke. Und euch?«
»Na ja, bei uns gibt es keinen Grund zur Freude, wie man sieht.«
»Das wird sich bald ändern. Davon bin ich überzeugt.«
»Haben Ihr Sohn und Ihr Enkel Ihnen erzählt, was passiert ist?«
»Sicher. Auch in der oberen Wohnung gibt es zurzeit keinen Grund zur Freude.«
»Geht es Ihrer Frau nicht gut? Wir haben uns ebenfalls schon länger nicht gesehen.«
»Es geht ihr sehr gut, vielen Dank. Aber sie ist nicht mehr meine Frau. Sondern meine Exfrau. Das heißt, meine zukünftige Exfrau.«
Anna und ich starrten ihn mit offenem Mund an, und er machte sich erneut daran, die Kissen in Annas Rücken zurechtzurücken.
Gerade, als ich die beiden allein lassen wollte, verließ Mr. Johnson das Zimmer, durchquerte den angrenzenden Buckingham Palace und steuerte auf die Wohnungstür zu.
»Und wie hat es Ihre Frau, das heißt Ihre zukünftige Exfrau aufgenommen?«, fragte ich ihn, worauf er auf der Schwelle verharrte und sich zu mir umdrehte.
»Sie ist jetzt auch zufrieden. Sie war seit Langem nicht mehr zufrieden mit mir. Ich wusste gar nicht, dass man so unglücklich sein kann, nur weil jemand anders unzufrieden mit einem ist, and to be happy only if she’s happy . Entschuldige, aber heute fühle ich mich wie ein junger Mann und rede auch so wie damals, auf Englisch, wie vor fünfzig Jahren. Dir wünsche ich, mein liebes Kind,
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