Die Welt der grünen Lady
Bruder.
»Ein verängstigter kleiner Junge«, entgegnete ich.
»Er hat keinen Grund, sich zu fürchten.« Ein einfacher Satz, aber die Betonung des Wortes ›er‹ und der Blick, den sie ihm da bei zuwarf, sprachen für sich. Es war eine deutliche Warnung für mich. Darin lag eine solche Unverschämtheit, daß ich völlig verblüfft war, denn einen Augenblick lang oder zwei schien es, als hätten wir die Rollen getauscht – als stünde ich unter ihrer Kontrolle anstatt umgekehrt.
Ich glaube, sie spürte rasch, daß sie einen Fehler gemacht hatte und zu weit gegangen war, denn plötzlich verschwand jenes andere, das sie wie einen Mantel umzulegen schien, und sie war wieder das kleine Mädchen. Bereitwillig ließ sie sich von mir ins Bett bringen und zudecken, wie Oomark – aber ihr Stimmungswechsel täuschte mich nicht, obgleich ich mir nichts anmerken ließ.
»Gehst du jetzt auch zu Bett?« fragte sie, als ich mich zum Gehen wandte.
»Jetzt noch nicht, aber bald.«
»Aber du gehst nicht weit fort?«
»Nein, ich bin im Hof.« Aber ich glaubte nicht einen Augenblick, daß meine Nähe ihr vielleicht tröstlich sein könnte. Sie wollte lediglich aus einem nur ihr bekannten Grund wissen, wo ich mich aufhalten würde.
Ich setzte mich so in den hübschen Innenhof, daß ich beide Türen der Kinderzimmer im Auge behalten konnte. Vorher hatte ich noch den Servo-Alarm am Hoftor eingeschaltet.
Im Lichtschein des sehr großen und gelben Mondes, der Dylan bei Nacht erhellte, schillerten und glühten die Kristallstellen im Pflaster, als wäre unter jedem dieser besonderen Steine ein Lämpchen angebracht. In Guskas Zimmer brannte auch noch Licht; ich wußte, daß die Schwester beabsichtigte, einen Teil der Nacht bei ihr zu bleiben.
Ich versuchte, über die Ereignisse seit unserer Landung nachzudenken, aber darüber wurde ich so müde, daß ich schließlich aufstand und in mein Schlafzimmer ging.
Als ich das Zimmer betrat, meinte ich aus dem Augenwinkel eine flüchtige Bewegung wahrzunehmen. Doch, als ich den Kopf wandte, um genau hinzusehen, war da nichts als der Spiegel.
Durch den momentanen Schreck wieder wacher geworden, machte ich mich etwas zügiger an die Vorbereitungen zum Schlafengehen. Aber erst, als ich mich vor den Spiegel setzte, um mir die Haare zu bürsten, geschah es.
Meine braune, glatte Haut, meine dunklen Haare, meine grünen Augen – größer und grüner in diesem Spiegel, als ich sie je zuvor gesehen hatte – auf einmal verschwand das alles, und statt dessen sah ich …
Die bloßen Knochen mochten noch die meinen sein, aber das, was mir sonst dort entgegensah, das war nicht ich. Ein Schrei stieg in mir auf, aber kein Laut drang aus meiner Kehle; ich war vor Entsetzen wie gelähmt. Die glatte, braune Haut von vorher war welk, verrunzelt und voller dunkler Flecken. Mein Mund war eine zahnlose, eingesunkene und faltige Öffnung, so daß Nase und Kinn einander näher kamen. Mein Haar war weiß und dünn und hing in schlaffen, spärlichen Strähnen über eine tief gefurchte Stirn. Meine Augenhöhlen waren leere, dunkle Löcher – und doch konnte ich sehen!
Ich hörte einen halberstickten Schrei und sah das Schreckensbild im Spiegel hin- und herschwanken – genau wie ich davor. Die Haarbürste fiel mir aus der Hand und klapperte auf den Toilettentisch. Und dieses kleine Geräusch zerbrach die Illusion. Das Trugbild war verschwunden, und im starrte mit weit aufgerissenen Augen und wild klopfendem Herzen auf das, was ich bisher immer im Spiegel gesehen hatte. Aber während ich da saß, zitternd vor einer eisigen, inneren Kälte, wußte ich, daß ich es wirklich gesehen hatte. Es? Was hatte ich gesehen?
3
Zitternd kroch im ins Bett und versuchte, mir dieses Trugbild zu erklären, denn ein Trugbild mußte es gewesen sein.
Im dachte an die zahlreichen Berichte merkwürdiger Erlebnisse in Lazk Volks Bibliothek. Ich hatte genug davon gelesen, um zu wissen, daß Dinge, die einer Rasse oder Art als ›Zauberei‹ erschienen, für andere, vielleicht nur ein Viertel der Milchstraße entfernt, völlig normal waren. Auch Esper konnten so seltsame Wirkungen erzielen, daß sie damit sogar ihre eigene Rasse verblüfften …
Esper! Sollte der Kommandant mit seiner Vermutung bezüglich Bartare recht gehabt haben, und war mein Erlebnis eine Projektion ihrer Gedanken meine Person betreffend – hatte sie mir zeigen wollen, wie sie selbst mich zu sehen wünschte?
Dieser Gedanke war erschreckend genug, aber
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