Die Welt ist nicht immer Freitag
kurzen Hosen, Sweatshirt und meinen verranzten, uralten Sportschuhen auf einem Schotterplatz irgendwo in Kreuzberg und bin äußerst nachdenklich. Überlege, ob mein Leben wirklich so perfekt, sorgenfrei und umsichtig organisiert ist, wie ich immer behaupte, wenn ich mit meinem Postbanksachbearbeiter über meinen Dispokredit verhandle.
Fußballspielen, selber, mit meiner eigenen Füße Spann und Pike, zum erstenmal wieder nach über 15 Jahren, im Februar, bei 2 Grad Celsius Außentemperatur. Und alles nur, weil ich vor einigen Tagen in der Kneipe gemeint hatte, ich müsse damit angeben, was für ein toller Fußballer ich in meiner Jugend gewesen sei. Damals in der D-Jugend, ich war so kurz vor dem Sprung zum Profi. Ha. Doch dann, ich war gerade in meiner dritten Saison zum erstenmal eingewechselt worden, wir verloren 0:21, ich spielte als einziger in meinem Team eine moderne Raumdeckung, mein direkter Gegenspieler schoß 13 Tore, war alles vorbei. Und nun 15 Jahre später wage ich ein Comeback.
Über all dies denke ich nach, als das Spiel losgeht. Meine Grundstrategie ist dieselbe wie bei jedem Sport, den ich so betreibe. Die ersten zwei Minuten renne ich wie angestochen so schnell ich nur kann den Platz rauf und runter. Zwar habe ich in dieser Zeit noch keinen Ballkontakt, aber ich spüre genau, wie meine Gegenspieler ganz schön beeindruckt sind von meiner läuferischen Stärke. Jaaaa, das hatten sie mir nicht zugetraut. Ab der dritten Spielminute jedoch verläßt mich langsam die Kraft. Mein Kopf ist knallrot, ich bin trotz der Kälte klitschnaß geschwitzt und gehe erstmal kurz in die Hocke, um neue Kraft zu sammeln. Kurz darauf bekomme ich meinen ersten Ballkontakt. Ich sehe genau, wie der scharf, ja knallhart geschossene Ball direkt auf mich zurast, aber ich bin einfach viel zu fertig, um noch irgendwie ausweichen zu können. Also bleibe ich einfach regungslos hocken und erwarte gelassen mein privates Armageddon. Vor meinem inneren Auge spielt sich nochmal mein gesamtes Leben ab.
Ich sehe, wie mein verschnupfter Vater mich direkt nach der Geburt im Arm hält, sich in seiner norddeutschen Art ein: »Naja, besser als nix, ne« abringt, und als der Arzt ihn fragt, wie der Junge denn heißen soll, derart niesen muß, daß ihm ein »Hooorsst!« entfleucht und er später zu stolz ist, dieses Mißgeschick zu korrigieren, wodurch ich zu diesem Geschenk von einem Namen komme. Wenn man bedenkt, was für ein Fußballer ich hätte werden können, wenn er nicht verschnupft gewesen wäre, und ich den ursprünglich für mich vorgesehenen Namen Lothar bekommen hätte, naja, is jetzt auch egal.
Erlebe nochmal, wie man mich drei Jahre lang Hmmpf genannt hat, weil ich behauptet hatte, ich könne 1a meinen Namen in den Schnee pinkeln, das dann aber doch nicht konnte, und dann aus Trotz behauptet habe, das unleserliche Gekräusel im Schnee sei mein eigentlicher Name, der irgendwie aus dem Skandinavischen komme.
Durchstreife meine jugendliche Trotzphase. Die langen Haare, die meiner Mutter so gar nicht gefallen wollten, und mein Vater, der ganz gelassen reagierte: »Ach laß den Jungen man, die langen Haare, das erledigt sich bald schon von ganz allein.« Er sollte recht behalten.
Ich erinnere mich an Marion, meine erste große, leider sehr einseitige Liebesbeziehung. Ich wollte sie seinerzeit von meiner Person betören, indem ich ihre Sprachkassetten, mit denen sie im Schlaf Fremdsprachen lernen wollte, stahl, und immer mal wieder zwischen die englischen und französischen Lektionen folgende suggestive Botschaft einsprach: »Die andern Jungs sind mir ganz Wurst, ich nehm jetzt lieber mal den Horst.« Kurz darauf hat sie mir gestanden, daß ich ständig in ihren Träumen auftauche und Wurstbrot esse. Heute ist sie Vegetarierin. Spricht aber fließend englisch und französisch, wenn auch mit starkem norddeutschen Akzent.
Ich sehe nochmal die völlig durchnäßten und aufgeweichten Teppichböden meiner Schule, nachdem ich in einer Pinkelpause einer äußerst mies verlaufenden Mathearbeit die vermeintlich geniale Idee gehabt hatte, diese Arbeit würde nicht gewertet werden können, wenn jetzt plötzlich, auf unerklärliche Weise, ein Wasserschaden entstünde. Dummerweise hatte ich, als ich mein Taschentuch in den Abfluß des Handwaschbeckens stopfte, vergessen, daß meine fürsorgliche Mutter in alle meine Kleidungsstücke meinen Namen eingenäht hatte. Dann sehe ich Herrn Zeeb, den Direktor der Schule und Vorsitzenden des
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