Die Welt ist nicht immer Freitag
ist, weil sich heute niemand mehr für sie interessiert. Sie sind einfach nicht mehr spektakulär genug. Früher war das anders. Da mußten sie nur niedlich und possierlich sein, und alle waren zufrieden. Aber heute reicht das nicht mehr. Heute wollen die Menschen mehr von ihnen sehen, mehr action. Man verlangt von ihnen, daß sie sich jagen, hetzen und zerfleischen. Das ist die Schuld von Hardy Krüger. Hardy Krüger hat den Tierfilm kaputtgemacht.
Früher, das waren noch Tierfilme. Ewig zeigte da die Kamera z. B. eine Gämse, die nur so dastand, im Berg, 2, 3, 4, 5 Minuten und länger nur die Gämse, und dann, die Stimme aus dem Off: »Eine Gämse«, dann wieder lange nix, man döst langsam weg, bis plötzlich die Gämse sich bewegt, durch den Berg stakst:
»Mit großem Geschick bewegt sich die Gämse behende durch den Berg.«
Dann überschlagen sich die Ereignisse, die Gämse frißt.
»Jetzt frißt die Gämse. Die Gämse braucht nicht viel. Ihre Nahrung findet sie selbst in großen steinigen Höhen.«
Die Kamera bleibt noch ein paar Minuten drauf. Das raffinierte technische Mittel der Zeitlupe kommt zum Einsatz. Und dann Schnitt. Ein Murmeltier auf einer Bergwiese. Und die Stimme:
»Ein Murmeltier. Es guckt.«
Und wir dachten: »Boarh.« Zufrieden schlummerten wir langsam vorm Fernseher weg und träumten von unserer Zukunft.
Ja, wir wollen wie Gämsen sein. Nicht viel brauchen, nicht viel machen, viel rumhängen, rumstehen, bißchen Sex vielleicht.
Wir hatten damals noch Ziele. Es entstand eine Generation der Kiffer und Schluffis, die aber noch staunen konnte: - Hey, Gämse, cool!!!
Das Eichhörnchen will mir einen Gefallen tun, und fängt an, ein Reh zu verprügeln. Aber ich sage: »Muß gar nicht« und lasse mir nur meine Belege stempeln.
Aus Dankbarkeit packen mir die Tiere noch ein paar Schinken und Rippchen von frisch überfahrenem Wild ein und zeigen mir dann den Weg zurück zum Auto.
Ich will gerade einsteigen, als ich plötzlich von weit, weit entfernt eine näherkommende Stimme höre: »Herr Protzner! Hallo Herr Protzner!!!!«
Zwei Tage ist das Intermezzo im Zug mittlerweile her. Nicht schlecht, da muß er von Braunschweig echt zügig gegangen sein.
BESINNUNG
Leben zur Jahrtausendwende l -
Harte Zeiten
Stehe vor dem Fenster und beobachte Passanten, wie sie auf dem Glatteis ausrutschen und hinfallen. Das ist lustig. Damit es spannender ist, habe ich eine Liste Männer/Frauen. Die Männer führen 5:3, noch ein Sturz, und sie haben den ersten Satz gewonnen. Hätte ich eine Videokamera, könnte ich hier mit Videos für Pleiten, Pech und Pannen ein Vermögen verdienen, aber ich habe keine Kamera, wir leben in harten Zeiten. Rumms, den Mann mit den Einkaufstüten hat's erwischt. 6:3, die Entscheidung, ich öffne kurz das Fenster und rufe: »Nicht traurig sein, Frauen, morgen ist wieder ein neues Spiel.« Ach, Winter ist schon toll.
Ich versuche, mich an meinen Traum zu erinnern. Wenn ich nicht von ausrutschenden Passanten träume, träume ich meist das Übliche. Ich, edler Ritter in silberner Rüstung, bin gerade dabei, eine Handvoll anmutiger Jungfrauen aus den Händen ziemlich gefährlicher, feuerspeiender Drachen zu befreien. Viele meiner Freunde finden, ich träume altmodisch.
Ich sollte frühstücken. Was hamm wir denn da? Nix. Hm. Kein Frühstück da, kein Geld da, das ist schlecht. Naja hilft ja nix, also nochmal Pyjama anziehn, Hausschuhe mit Spikes anziehn, mein großes Schild umhängen: »Vorsicht Schlafwandler, nicht ansprechen, Lebensgefahr!!!«, und auf geht's zum REWE-Markt. Auf dem Weg starren mich zwar alle an, aber keiner spricht mich an. Ich nehm mir Brot, Butter, Käse, Wurst, Zigaretten, Zeitung und gehe unbehelligt zurück nach Hause, na geht doch. Man muß sich nur zu helfen wissen. Im Treppenhaus begegnet mir Herr Britz aus dem dritten Stock, er schlafwandelt auch, hat aber einen Videorekorder unterm Arm. Verdammt, ich denk einfach nicht groß genug. Obwohl, bis zum Karstadt schlafwandeln ist schon verdammt weit. Andrerseits könnt ich mir dann auch gleich eine Videokamera mitnehmen und würde beim nächsten Glatteis ein Vermögen mit Umfall-Videos verdienen. Aber, ob es noch genausoviel Spaß macht, Leuten beim Umfallen zuzugucken, wenn ich damit mein Geld verdiene? Ist es dann nicht einfach nur noch ein Job?
In Würde altern
Das Kind schnauzt mich an.
- Haste das jetzt kapiert, oder muß ich's nochmal erklären?
- Hör mal, junger Mann, in dem Ton redeste aber nich
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