Die Welt ohne uns
stärkere und häufigere Hurrikane an Nordamerikas Atlantikküste erwarten lässt, werden wütende Böen an den hohen, schwankenden Konstruktionen zerren. Einige werden umstürzen und andere mitreißen. Wie im Wald, wenn der Sturz eines riesigen Baums eine Lücke reißt, siedelt sich dort rasch neues Grün an. Allmählich wird der Asphaltdschungel dem echten Dschungel weichen.
Der Botanische Garten New Yorks erstreckt sich gegenüber dem Zoo in der Bronx über 100 Hektar und besitzt das größte Herbarium außerhalb Europas. Zu seinen Schätzen gehören die Wiesenblumen, die Captain Cook 1769 bei seinen Pazifikausflügen gesammelt hat, und ein Stückchen Moos aus Feuerland nebst einigen Notizen in wässriger schwarzer Tinte, vom Sammler persönlich unterschrieben: C. Darwin. Am bemerkenswertesten sind indessen die sechzehn Hektar des Botanischen Gartens, auf denen man die urwüchsigen Baumbestände des unberührten New Yorker Urwalds erhalten hat, ohne dort jemals Holz zu schlagen.
Nie forstwirtschaftlich traktiert, aber von Grund auf verwandelt. Bis vor Kurzem hieß er noch Hemlock-Wald, weil er von den schattigen Wipfeln dieser schönen Tannenart geprägt war, doch heute ist fast jede Hemlock-Tanne tot, Opfer eines Mitte der achtziger Jahre nach New York gelangten japanischen Insekts, das kleiner ist als der Punkt am Ende dieses Satzes. Auch die ältesten und stärksten Eichen, die noch aus der Zeit der ersten europäischen Besiedelung stammen, fallen jetzt, geschwächt vom sauren Regen und den in den Boden eingesickerten Schwermetallen, etwa dem Blei aus den Abgasen von Autos und Fabriken. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sie wieder heimisch werden, weil sich die meisten Laubbäume hier schon lange nicht mehr fortpflanzen. Jede einheimische Art beherbergt jetzt ihren eigenen Schädling: einen Pilz, ein Insekt oder eine Krankheit, die leichtes Spiel mit den umweltgeschwächten Bäumen haben. Als wäre das noch nicht genug, wurde der Wald als grüne Insel inmitten Hunderter Quadratkilometer grauer Stadtlandschaft auch noch eine Lieblingszuflucht für die Eichhörnchen der Bronx. Da die Tiere keine natürlichen Feinde mehr haben und dort nicht gejagt werden dürfen, kann sie nichts und niemand daran hindern, lange vor dem Keimen schon jede Eichel und jede Hickorynuss aufzufressen. Was sie auch tun.
Heute klafft eine achtzigjährige Lücke im Unterholz dieses Waldes. Statt neuer Generationen von einheimischen Eichen, Ahornbäumen, Eschen, Birken, Platanen und Tulpenbäumen wachsen hier hauptsächlich importierte Zierpflanzen, deren Samen aus anderen Teilen der Bronx herbeigeweht wurden. Bodenproben lassen darauf schließen, dass hier rund 20 Millionen Samenkörner von Chinesischen Götterbäumen keimen. Laut Chuck Peters, dem Kurator des Institute of Economic Botany des Botanischen Gartens, stellen heute exotische Gewächse wie Götterbaum und Korkbaum (Phellodendron), beide aus China, mehr als ein Viertel dieses Waldes.
»Es gibt Leute, die möchten den Wald wieder in den Zustand versetzen, in dem er sich vor 200 Jahren befand«, erklärt er. »Ich sage ihnen immer, dann müssten sie auch die Bronx wieder in den Zustand versetzen, in dem sie sich vor 200 Jahren befand.«
Als die Menschen sich über den Erdball ausbreiteten, nahmen sie Lebewesen mit und brachten andere zurück. Pflanzen aus Amerika veränderten nicht nur die Ökosysteme europäischer Länder, sondern auch deren Identität: Denken Sie an Irland vor Einführung der Kartoffel, an Italien vor Einführung der Tomate. In umgekehrter Richtung verbreiteten sie auch die Samen von dort bislang unbekannten Pflanzen, allen voran Gerste und Roggen. Nach einer Formulierung des amerikanischen Geografen Alfred Crosby drückte dieser ökologische Imperialismus der europäischen Eroberer den neuen Kolonien dauerhaft ihren Stempel auf.
Einige Ergebnisse waren lächerlich, etwa die englischen Gärten mit Hyazinthen und Osterglocken, die im kolonialen Indien nie wirklich heimisch wurden. Der europäische Star – heute eine allgegenwärtige Vogelplage von Alaska bis Mexiko – wurde 1890 im Central Park ausgesetzt, weil man alle Vögel der Shakespeare'schen Dramenwelt auch in Amerika um sich haben wollte. So kam es zu einem Garten im Central Park mit jeder Pflanze, die der englische Dichter besang: Stockrosen, Wermut, Kapuzinerkresse, Weinrose und Schlüsselblume – einfach alle, ausgenommen Macbeths Wald von Birnam.
In welchem Umfang das virtuelle Mannahatta
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