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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
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Raffinerien, Kraftwerken und chemischen Fabriken hinterlassen haben. Nach und nach bauen Bakterien, die sich von Öl, Lösungsmitteln und Schmiermitteln ernähren, diese Stoffe zu unschädlicheren Kohlenwasserstoffen ab – obwohl ein großes Spektrum von künstlichen Stoffen, von bestimmten Pestiziden über Weichmacher bis hin zu Isoliermaterial, noch Jahrtausende erhalten bleibt, bis die Evolution Mikroorganismen hervorgebracht hat, die sie verarbeiten können.
    Doch mit jedem weiteren säurefreien Regenguss sind die Bäume, die bis dahin durchgehalten haben, weniger Schadstoffen ausgesetzt, denn die chemischen Bestandteile werden allmählich aus dem System gespült. Im Laufe der Jahrhunderte nehmen die Pflanzen immer weniger Schwermetalle auf, sodass sie sie recyceln, ausscheiden und verdünnen können. Wenn sie absterben, verfaulen und neue Erdschichten bilden, werden die industriellen Giftstoffe noch tiefer begraben, und jede nachfolgende Generation von einheimischen Sämlingen setzt dieses Werk fort.
    Unser Ökosystem ist ein menschliches Artefakt, das auch in unserer Abwesenheit fortbestehen wird, eine kosmopolitische botanische Mischung, die ohne uns nie zustande gekommen wäre. Eigentlich war das immer so, seit Homo sapiens in Erscheinung trat. Eric Sandersons Mannahatta Project rekonstruiert die Insel, wie die Holländer sie vorfanden – keinen Manhattan-Urwald in dem Zustand, bevor ihn ein menschlicher Fuß betrat, weil es keinen Urwald gab. »Denn bevor die Lenni Lenape eintrafen«, erläutert Sanderson, »gab es hier nichts als eine anderthalb Kilometer dicke Eisschicht.«
    Vor rund 11000 Jahren, als sich die letzte Eiszeit von Manhattan aus nach Norden zurückzog, nahm sie die Fichtenund Lärchentaiga mit, die wir heute unmittelbar südlich der kanadischen Tundra finden. Sie wurde durch den typischen Wald des gemäßigten nordamerikanischen Ostens ersetzt: Eiche, Hickory, Kastanie, Walnuss, Hemlock-Tanne, Ulme, Buche, Zuckerahorn, Amberbaum, Amerikanischer Fieberbaum und Haselbaum. Auf den Lichtungen wuchsen Büsche – Virginische Traubenkirsche, Gewürzsumach, Rhododendron, Buschgeißblatt – und eine Reihe von Farnen und Blütenpflanzen. Schlickgras und Eibisch erschienen in den Salzsümpfen. Als diese Blattpflanzen die wärmer werdenden Nischen besetzten, folgten ihnen warmblütige Tiere und Menschen.
    Der Mangel an archäologischen Funden lässt darauf schließen, dass die ersten New Yorker wahrscheinlich nicht sesshaft waren, sondern nur im Sommer ihr Lager hier aufschlugen, um Beeren, Kastanien und wilde Weintrauben zu sammeln. Sie jagten Truthähne, Präriehühner, Enten und Weißwedelhirsche, vor allem aber fischten sie. In den Gewässern wimmelte es von Stinten, Alsen und Heringen. Bachforellen standen in Manhattans Bächen. Es herrschte ein solcher Überfluss an Austern, Muscheln, Venusmuscheln, Krebsen und Hummern, dass sie mühelos zu fangen waren, wie große Abfallhaufen aus den Schalen von Weichtieren entlang der Ufer bezeugen. Als Henry Hudson die Insel zum ersten Mal erblickte, waren Upper Hartem und Greenwich Village Grassavannen, die von den Lenni Lenape für ihre Anpflanzungen wiederholt abgebrannt wurden. Als die Forscher des Mannahatta Projects die alten Kochfeuergruben in Hartem untersuchten, stellten sie fest, dass die Indianer Mais, Bohnen, Kürbis und Sonnenblumen anbauten. Ein Großteil der Insel war noch immer so grün und dicht bewachsen wie der Bialoweza-Urwald. Doch schon lange bevor den Indianern das Land für sechzig holländische Gulden abgekauft wurde, hatte Homo sapiens dort bereits seine Spuren hinterlassen.
     
    2000, im letzten Jahr des alten Jahrtausends, gelang es einem Kojoten, in den Central Park vorzudringen. Er war vielleicht der Vorbote einer Zukunft, die eine Neuauflage der Vergangenheit sein könnte. Später kamen noch zwei weitere und ein wilder Truthahn hinzu. Möglicherweise wird die Rückverwandlung von New York City in eine Wildnis nicht erst beginnen, wenn die Menschen es verlassen.
    Diese Tiere kamen über die George Washington Bridge, die Jerry Del Tufo mit anderen Brücken für die Hafenbehörde von New York und New Jersey betreut. Er ist Bauingenieur, Anfang vierzig und hält Brücken für die beste Idee, die der Mensch jemals hatte: elegante Gebilde, die Klüfte überspannen, um Menschen zusammenzuführen.
    Del Tufos Gesichtszüge verraten die sizilianische Herkunft, seine Sprechweise lässt erkennen, dass er in der Gegend von New Jersey

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