Die Weltgeschichte der Pflanzen
Alchimist. Aus solchen Tüftler- und Zufallsentdeckungen entstanden im 19. Jahrhundert viele Dinge, die aus der modernen Welt nicht mehr wegzudenken sind, auch im Zusammenhang mit dem Kautschuk.
Etliche solcher Amateur-Chemiker suchten nach geeigneten Methoden, Kautschuk nutzbringend zu verwenden. Auch Charles Goodyear (1800-1860) beschäftigte sich mit derartigen Experimenten. Der Ostküstenamerikaner war im väterlichen Betrieb für Landwirtschaftsmaschinen für den Vertrieb zuständig und tüftelte nebenher mit Kautschuk herum. Der Durchbruch war eine Zufallserfindung, als 1839 eine Schwefel-Kautschuk-Mischung auf eine heiße Herdplatte fiel. Dabei entstand eine völlig neuartige Substanz, der elastische Gummi. Entscheidender Bestandteil beim Kautschuk ist Polyisopren, das die Elastizität bringt. Dieses Molekül ist aus Tausenden von Isoprenresten aufgebaut ( C 5 H 8 ), an die sich andere Atome anlagern können. Gummi entsteht durch die Anlagerung von Schwefel, wodurch das weiche Latex härter und haltbarer wird. Das ist die Vulkanisation. Goodyear ließ sich das Verfahren patentieren.
Das Wort für das neue Material »Gummi« geht auf ein Wort der altägyptischen Pharaonensprache zurück; mit kemai bezeichnetendie alten Ägypter das Harz einer Schirmakazie. Solche Harze haben ebenfalls elastische Eigenschaften. Auch Weihrauch und Myrrhe sind solche Baumharze.
Nun konnte man Kautschuk in der erfindungsreichen europäischen und nordamerikanischen Industrie, die damals laufend neue Produkte erfand und entwickelte, industriell-technisch verwerten. Goodyear begann mit der Produktion von Gummihandschuhen, Zelten, später Hartgummimöbeln und ab 1855 Kondomen. Er erfuhr viele Ehrungen in Europa und wurde zur ersten Weltausstellung 1851 im Kristallpalast in London eingeladen. Bei der Gelegenheit stellte man das Hartgummi erstmals der Weltöffentlichkeit vor.
Den Siegeszug der Gummi-Anwendung für Autorreifen und als Isoliermaterial für elektrische Drähte erlebte Goodyear allerdings nicht mehr. Zu seinen Lebzeiten gab es noch keine Autos. Zwar wurde später eine Reifenfirma nach ihm beziehungsweise nach dem von ihm gefundenen Goodyear-Verfahren benannt, aber er selbst hatte daran keinen Anteil. Überhaupt blieb ihm selbst mit seinen eigenen Gummi-Produkten der Erfolg weitgehend versagt. Goodyear starb verarmt.
Ohne Gummireifen keine Automobilindustrie. Die ersten Fahrrad-Hochräder rumpelten noch auf reinen Stahlreifen über die ungepflasterten Straßen. Der erste Patent-Motorwagen von Carl Benz fuhr 1885 immerhin schon auf dünnen Vollgummireifen. (Die Räder des Benz-Motorwagens erinnern noch stark an die Fahrrad-Hochräder.) Die Gummi-Luftreifen für Autos kamen zehn Jahre später.
Aber auch der Luftreifen musste noch erfunden werden. Das geschah 1888 durch den Tierarzt John B. Dunlop. Er klebte aus Gummiplatten den ersten Fahrradschlauch zusammen, den er mittels eines Ventils aufpumpte; 1891 entwickelte dann Édouard Michelin den ersten richtigen Fahrradschlauch und daraus 1894 den Gummireifen mit Schlauch für Automobile. Immerhin gründete Dunlop selbst aufgrund seines Patents eine Reifenfabrik und war damit erfolgreicher als der unglückselige Goodyear.
Der ganz große Kautschukboom setzte um 1900 ein. Man hatte beobachtet, dass Gummi nicht nur als wasserabweisendes Material hervorragend isoliert, sondern auch elektrischen Strom nicht leitet. Das war ideal, als man gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit der Elektrifizierung und dem Verlegen von Kabeln begann.
Durch Goodyears Erfindung aus dem Jahr 1839 war Kautschuk seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein interessanter Rohstoff. Die Nachfrage stieg sprunghaft. Kautschukbarone europäischer Herkunft, sprichwörtliche Neureiche, organisierten die mühsame Ausbeute in den Regenwäldern Amazoniens. Sie beuteten die Indios gnadenlos aus, die in ihrem natürlichem Habitat von Baum zu Baum rennen mussten, um den wertvollen Rohstoff nach steinzeitlicher Wildbeutermanier dort einzusammeln, wo er natürlich vorkam. Auf die Idee von Plantagenabbau war man zwar in Brasilien durchaus gekommen, doch als man die Bäume anpflanzte und aus ihrem natürlichen Vegetationszusammenhang löste, wurden sie Opfer eines Pilzes, den sie an ihren natürlichen Standorten im Regenwald in Schach halten konnten.
Brasilien verteidigte einige Jahrzehnte lang sein Weltmonopol für die Lieferung von Kautschuk. Das Opernhaus in Manaus, erbaut mit kostbaren, überwiegend aus Europa
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