Die Weltgeschichte der Pflanzen
herbeigeschafften Materialien und 1896 eingeweiht, ist das bombastische Symbol dieses ersten Kautschukbooms. Bis Henry Wickham (1846-1928) kam, den viele als den größten Biopiraten aller Zeiten bezeichnen, vor allem er sich selbst.
Einer der engsten Freund von Charles Darwin war der Forschungsreisende und Pflanzenkundler Joseph D. Hooker, 20 Jahre lang Direktor der Botanischen Gärten von Kew Gardens, ein Posten, den zuvor sein Vater bekleidet hatte. Die idyllischen Anlagen und Gewächshäuser an der Peripherie von London waren die bedeutendste Sammelstelle exotischer Pflanzen in Europa. Hooker selbst hatte sich durch ausgedehnte botanische Forschungsreisen in die Antarktis, in die Himalajaregionen Indiens und nach Westamerikaeinen ausgezeichneten wissenschaftlichen Ruf erworben, er kannte die Welt und war in England bestens vernetzt. In London war man sich darüber im Klaren, dass der Kautschukbaum auch in anderen tropischen Gegenden gedeihen könnte, in denen das Britische Empire gut vertreten war, zum Beispiel in Indien. Denn man war keinesfalls geneigt, das Kautschukgeschäft den Brasilianern allein zu überlassen – noch dazu mit einer Abhängigkeit von einem Monopol.
Hooker war es, der Henry Wickham den Auftrag erteilte, Kautschukbaum-Samen nach London zu bringen. Die Pflanzenpolitiker in Kew Gardens wünschten ausdrücklich nicht infizierte Samen, keine Setzlinge, denn sonst wäre die Gefahr zu groß gewesen, auch den Pilz mit in die geplanten südostsiatischen Anbaugebiete einzuschleppen, der den brasilianischen Versuchen mit Kautschukplantagen den Garaus gemacht hatte. Auf Wickham war Hooker durch dessen Reiseberichte aufmerksam geworden. Wickham hatte sich als junger Mann als Vogelfedersammler in Mittelamerika herumgetrieben und seine Reiseerlebnisse 1872 veröffentlicht.
Im Jahr 1876 sammelte Wickham 70000 Hevea -Samen in Brasilien, deklarierte sie am Zoll als Orchideensamen und nahm sie mit nach London. Die Kühnheit seiner Tat hat Wickham selbst übertrieben, erstens, weil es zu jener Zeit in Brasilien kein einschlägiges staatliches Ausfuhrverbot gab, wie oft behauptet wird, und zweitens, weil die Aktion beinahe in James-Bond-Manier von Kew Gardens im Zusammenwirken mit der Royal Navy organisiert war. Ein britisches Schiff stand bereit, die brisante Ladung aufzunehmen und schnell und sicher nach London zu bringen.
Aus den 70000 Samen gelang es in den Treibhäusern in Kew Gardens 2000 Setzlinge hochzuziehen und auf das Empire zu verteilen. Nicht in Burma, wofür die meisten Setzlinge bestimmt waren, sondern in Malaysia, wo nur acht lebende Pflanzen ankamen, gediehen sie am besten.
In Malaysia hatten die Kautschukpflanzen keine natürlichen Feinde, man pflanzte die Bäume plantagenmäßig an, die Ernte war vielbesser organisiert. Henry Ridley, von 1888 bis 1911 Leiter des Botanischen Gartens in Singapur, leitete den Aufbau von Kautschukbaumplantagen in Britisch-Malaya, dem heutigen Malaysia, ein.
Die Briten überschwemmten ab 1905 den Markt, die Preise fielen und ruinierten das brasilianische Kautschukmonopol. In Ostasien, praktisch am anderen Ende der Welt, wurden auf drei Millionen Hektar Kautschukbäume angepflanzt. Dort wurden die Bäume auch weitergezüchtet. Wildformen von Hevea in Brasilien erbringen rund 500 Kilogramm Kautschuk, malaysische Bäume 3000 Kilogramm pro Hektar.
Das grauenhafteste Kapitel des Kautschukbooms wurde aber weder in Brasilien und erst recht nicht in Malaysia geschrieben, sondern im Kongo. Um 1900 hatte der Kautschukboom so richtig begonnen, als man Gummi nicht nur für Reifen brauchte, sondern im Zuge der einsetzenden Elektrifizierung eine neue riesige Nachfrage nach Gummi als Isoliermaterial entstand.
Einige Jahre nach der berühmten Entdeckung des verschollen geglaubten David Livingstone durch den amerikanischen Journalisten Henry M. Stanley rollte dieser Stanley im Auftrag des belgischen Königs Leopold II . das Innere des Kongobeckens auf. Stanley sollte Land kaufen und Elfenbein auftreiben, das seinerzeit begehrteste »Exportgut« aus Zentralafrika. Die Briten waren am Innern Afrikas wenig interessiert. Auf einer Konferenz in Berlin wurde 1885 der Kongo den Belgiern überlassen, das belgische Volk hatte aber kein Interesse an einer Kolonie, also ging der »Kongo-Freistaat« in den Privatbesitz von Leopold II . über. Dieser afrikanische Besitz des Monarchen war 75-mal größer als Belgien selbst.
Leopold stellte den Kongo von Anfang an unter ein straffes
Weitere Kostenlose Bücher