Die Weltgeschichte der Pflanzen
Brei eine Weile stehen, gärt die Mischung, weil im Teig von Natur aus Hefen und Bakterien vorhandenen sind. Für Brot, das gebacken wird, ist die Getreide-Wassermischung dickflüssiger; für Bier, das gebraut wird, ist sie dünnflüssiger. Insofern stimmt der gelegentlich geäußerte Satz, Bier sei flüssiges Brot. (Fladen-)Brot auf heißen Steinen zu backen und Biergebräu herzustellen zählt neben dem Fleischgrillen am Lagerfeuer zu den ältesten Techniken einer verfeinerten Nahrungsmittelherstellung. Es markiert schon eine gewisse Kulturstufe im Vergleich zu dem Rohverzehr von Früchten und Fleisch oder gestampftem Wildsamenmüsli.
Wie alle späteren Getreidearten war die Gerste ein Wildgras mit vergleichsweise kleinen Samen. Diese zu sammeln und zu Getreidebrei zu verarbeiten muss in der Frühzeit, bis man ertragreichere Sorten gezüchtet hatte, so mühsam gewesen sein, dass man sich fragt, was den Aufwand gelohnt haben soll, angesichtsder Tatsache, dass die damalige Feuchtsavannengegend der Levante nicht nur fruchtbar, sondern auch sehr wildreich war. Denn Fleisch ist ein weitaus ergiebigeres und für die damaligen »Jäger und Sammler« viel leichter zu beschaffendes Nahrungsmittel als Getreide.
Archäologische Funde in Göbekli Tepe lassen den Schluss zu, dass die Kunst des Bierbrauens bei Weitem älter ist als der Getreideanbau. Für das Bier genügten schließlich auch gesammelte Wildgräsersamen. Göbekli Tepe ist eine der ältesten archäologischen Ruinenstätten im Nahen Osten, circa 13000 v. Chr., in der heutigen Südtürkei gelegen. Eine enorme und offenbar sehr bedeutungsvolle megalithische Kultanlage, die offenbar für rituelle Feste genutzt wurde. Das lässt den Rückschluss auf den Bedarf von Bier für Festmähler zu. Bier wurde, wie heute, durchaus wegen seiner berauschenden Wirkung geschätzt. Rauschmittel spielten in sehr alten religiösen Jäger-Sammler-Kultformen von »Schamanen« oder »Medizinmännern« eine herausragende Rolle als psychoaktives Transportmittel in eine andere Welt. Für die damaligen »Eingeweihten« eine wichtige Jenseitserfahrung. Darauf beruhte die »priesterliche« und »heilerische« Autorität der Schamanen. Die erstaunlichen Bauten von Göbekli Tepe wurden noch von reinen Jäger- und Sammler-Gesellschaften errichtet. Heilwissen, das Wissen um die Wirkungsweise von Pflanzen, reicht sehr weit in die Steinzeit zurück.
Daher wäre es nicht besonders überraschend, wenn das Brauen von Bier noch wesentlich älter ist als das Backen von Brot. Man weiß natürlich nichts über die Kulte in Göbekli Tepe und darf sich diese Wildbeuterversammlungen wohl nicht als rauschendes Oktoberfest zur Volksbelustigung vorstellen. Wenn man Analogien zu anderen Gesellschaften auf dieser Kulturstufe zieht, war der Gebrauch von Rauschmitteln immer auf wenige Auserwählte beschränkt. Genauso hielten es die Inka übrigens mit dem Kauen der Kokablätter.
Vor diesem steinzeitlichen Hintergrund war die Kunst des Bierbrauens für die Sumerer und die Ägypter längst ein alter Hut. Diese ersten Hochkulturen entwickelten sich erst 10000 Jahre später! Es musste nicht unbedingt Gerstenbier sein. (In Afrika wird Bier auch aus Bananen gebraut.) Man darf sich dieses frühantike Gebräu natürlich nicht wie ein modernes, hochgezüchtetes Pils mit schöner Schaumkrone vorstellen, sondern als ein leicht alkoholisches Getränk, das mit allem Möglichen »gewürzt« und – schon bei den Sumerern – für die Damen auch mit Honig gesüßt wurde.
Schlüssig wird die Kultivierung der Gerste als dem ältesten angebauten Getreide, wenn man sie in der ersten Phase des Anbaus gar nicht als Brotgetreide betrachtet, sondern als Ausgangsprodukt für Bier. Möglicherweise kamen die frühesten Jungsteinzeitbauern im Fruchtbaren Halbmond des Nahen Ostens durch diese Gerstensaft-Nutzung auf den Gedanken, Wildgräsersamen zu sammeln und als Nahrungsreserve zu lagern. Vielleicht gewann dies an Bedeutung, als das Klima im Nahen Osten nicht mehr ganz die gewohnte Üppigkeit zuließ? Möglicherweise folgte erst jetzt das Sammeln und Anbauen von Einkorn und Emmer, den beiden anderen ältesten domestizierten Süßgräsern, nach dem Vorbild der Gerste.
Mögen in Göbekli Tepe vielleicht Rauschzustände für eine schamanistische »Priesterschaft« im Vordergrund gestanden haben, so hat das allgegenwärtige Bierbrauen in Hochkulturen eine andere, viel wichtigere Funktion: Es erwies sich als eine Kulturtechnik, um Wasser
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